Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
Jahre lang Radio- und Schallplattenmusik nicht allein meist jahreszeitlich affin erklingen ließ; sondern sich zumal die vier Wochen vor dem Weihnachtsfest, obschon ich diesem bereits mental entwachsen war, die Musik, ja mein gesamtes Musikempfinden, immer weihnachtlicher gestaltete, mit Beginn des Advents immer frömmer, sozusagen spiritualisiert-religiöser. Langte um den 30. November herum noch eine Haydn-Messe oder eine Mozart-Vesper, zum dritten Adventssonntag immerhin noch Bachs Weihnachtsoratorium, so mußten es kurz vor Mariae Niederkunft schon mindestens Frescobaldi, Corelli, Stradella, ja gar der ganz und gar unsinnliche, vielleicht auch unsinnige Schütz sein: »Stehe auf, stehe auf, Joseph, stehe auf!«
An diesem Hl. Joseph nahm ich noch viel später vor allem in der vorösterlichen Zeit einigen Anteil, besonders interessiert via das opernähnliche Oratorium des Giovanni Pergolesi mit seinen (der schreckte auch vor wahrlich nichts zurück) den Jesus-Stiefvater umgarnenden Engelsjubelchören. Es wird der Ratzinger nicht ungern hören, wenn schon nicht lesen, daß ein zutiefst Religiöses auch noch im modernen und, in meinem Fall, hochaufgeklärten Menschen offenbar nie ganz niederzumachen ist, sondern notfalls als späte Josephsfreude zurückkehrt – oder halt notfalls mit Hegel zu reden: »Wir haben allerhand Rumor im Kopf und auf dem Kopf.«
Ich heute auf dem Kopf einen Ohrenschützer zum Langlauf-Skifahren, zu dem ich mich jetzt (30. Dezember 2010, 11 Uhr) bei minus 12 Grad zügig verabschiede.
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Allerdings, was ist das eigentlich für eine merkwürdige Religiosität, Kinder- oder Vorpubertierendenreligiosität (seltenes, schön schläfriges und dabei fast erregendes Wort), wenn ich da ca. 1953, mit 12 oder 13, erstaunlich gelungene fromme Madonnen, aber auch beinahe virtuose schmiedeeiserne Grabkreuze pinselte oder sogar bunte Glasfenster in der Manier der Heimatpfarrkirche oder des Doms von Regensburg? Nein, schiere und triftige Freude an der damals wohl gleichfalls und gleichzeitig entdeckten Ästhetik, dem Kunstschönen, war es m.E. gewiß nicht; sondern mehr eine Gefühlsschicht dazwischen oder wohl doch darüber machte sich bemerkbar, mit dem im Süddeutschen besonders opernhaften Liturgischen vielleicht als Missing Link zwischen Religion und einer etwas gar treuherzigen Kunst. Andererseits konnte dem verbissen, versessen Fußball und Tischfußball spielenden Knaben doch kein dauerhaftes Vergnügen in all diesen Glorienscheinen und nimbusüberwölbten Langhaarköpfen und frömmlichen Faltengewändern zumutbar gewesen sein – was also? War dies ungeklärte, aber doch unzweifelhaft wie glänzender Firnis verspürte »Religiöse« das Empfinden mithin eines über allem Fußball lagernden Höheren, einer zweiten Welt, gar ein im Hegelschen Sinne Vermittelndes, eine Klammer zwischen der bereits als trivial erkannten Welt und einer – anderen?
Dieser besonnene Gedanke über die Religion, das sei auch und gerade »den Gebildeten unter ihren Verächtern« (Friedrich Schleiermacher, 1800) ans Herz gelegt, wolle zumindest den gebildetsten unter ihnen – »denn man schreibt im Gedanken doch eigentlich immer nur für die wenigen, deren Meinung man hoch u. wert hält« (Eichendorff am 29.3.1857 an Franz Lorinser) – zumindest als Frage auch weiterhin geziemend zu denken geben. Oder denket ihr etwa, ich sage und zitiere das alles treulich nur für die Katz?
In diesem Augenblick (30. Oktober 2011, 16.28 Uhr) springt sie übers korrekturgelesene Manuskript. Mich zu dupieren. Na was sonst.
Hoffen wir beherzt mit unseren zahlreichen Lesern, daß uns trotzdem wenn nicht schon hier, so gegen Ende des Buchs hin auf diese Frage Antwort, hinreichende Befriedigung und also Rettung im Sinne eines bekanntlich recht »langmüthigen Gotts« (R.P. Goffine) zuteil werden vermöge. Oder immerhin möge.
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Noch wenig Mitteilung gemacht habe ich, weder in direkter noch in Romanform, von einem Mitschüler und späteren SPD /Juso-Genossen, welcher mich von 1951 bis 1959 auf dem Gymnasium in Amberg begleitete bzw. mir, und nicht nur aus Altergründen (Jahrgang 1941 bzw. 1940), wesentlich vorstand: Dieter Meiller, gestorben nach rund zwanzigjähriger schwerer Krankheit vorzeitig 2008.
Es war Dieter Meiller zeitlebens auch immer ein bißchen Schwirrkopf und Strohwisch und Faselhans (»Freiheit ohne Emanzipation ist Konterrevolution« und ähnliche in der Heimatzeitung aufgehobene Sprüche); allzu einsatzfroh
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