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Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Titel: Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckhard Henscheid
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eine Spezialausgabe für ehemalige oder aktive Wehrmachtsangehörige, diese vielleicht vom »Führer« aufgedrängt oder (das wär’ schön!) selber überreicht; der war immerhin der einzige und sogar z.T. verblüffend Wagnerwissende unter den schwerst ignoranten und kulturbolschewistischen Nazideppen.
    Text und jeweiliges Leitmotiv-Erstauftreten samt Wiederkehr waren dort, im alten Buch, vorbildlich übersichtlich und kundig parallel gedruckt vorzufinden – kaum also mehr ein großes Kunststück für mich, der sich seit knapp einem Jahr mit dem Klavier abmühte, rasch zum Connaisseur, ja fast schon zum gehobenen Wagnerdeuter zu arrivieren.
    Zum Beispiel Deuter jenes »Siegfried«-Vorspiels, beginnend nach einem zarten Paukenwirbel mit dem »Motiv des Sinnens«, einer Zweitöne-Septime-Figur in fahlen, wie krummen Terzen; darüber habe ich bis heute nichts gelesen, was über meinen Nürnberger Ersteindruck und meine kleine Einlassung von 1990 (»Musikplaudertasche«, S. 184f.) weit hinausginge. Und was ich eben schon 1957 aus der Wurm-Schmiede-Ring-Schwertmotiv-Folge annähernd genial, nein, nur hochbegabt frühreif heraushörte; für meine nicht unbedingt genuin musikalischen Verhältnisse eben doch fast genial.
    Selbstverständlich weiß ich auch heute noch die damalige Nürnberger »Siegfried«-Mannschaft im Schlaf, also Sebastian Feiersinger als Siegfried, Robert Licha als Mime, Leonardo Wolovsky der Wanderer, Hildegard Jonas Brünnhilde, Elisabeth Schärtel die Erda, bis zum Waldvogel der Lotte Schädle. Schwerer zu beschreiben oder doch andeutend aufs Wort zu bringen wäre bei Bedarf die halb aufgeregte, halb schon ein bißchen routinehaft zulauschende Stimmung in Herz und Hirn des Jung-Wagnerianers; manchmal möchte man halt doch schon Nabokov sein, Erinnerung, Bewahrung, Vergegenwärtigung mit der Sache trickreich sich annähernden Vokabeln adäquat auf den Punkt, in einen zumindest suggestiven, wenn schon nicht wahrheitlichen Text zu bringen.
    Das – im zweiten Anlauf – Erstlingserlebnis Wagner speiste seine Eindringlichkeit, ja Unvergeßlichkeit bestimmt aus mehreren Quellen: der Neuheit des Orchesterklangrausches, aber vielleicht mehr noch aus der diesbezüglichen Unverbrauchtheit der heute wohl etwas abgenutzten Ohren. Anders als in der spektakuläreren, pompöseren, z.T. auch langweiligeren und insgesamt überschätzten »Walküre« ward beim zweiten bzw. dritten »Ring«-Abend witterungsweise erspürbar ein Geist skurriler Heiterkeit, überwölbenden werkimmanenten und -übergreifenden Unsinns, der Szene (zwei Rabauken lärmen fast eineinhalb Stunden lang im Märchenwald herum) wie der teils zartsubtilen, teils wiederum rücksichtslos krachmacherischen Musik; des vollen Tutti-Orchesters und darüber gelagert in zunehmendem Fortissimo der beiden heiteren Gesellen und nichtswürdigen Tenöre, die da um das Schmiedefeuer herum um die Wette randalieren. Als »eine Art begeisterte Wildheit«, so Goethe in Dichtung und Wahrheit über den Sturm und Drang – bei Wagner nebenher ernsthaft fusionierend Kindskopfpsychologie und Krach als spätromantische l’art pour l’art! Freilich, solche Infantilkomik, keineswegs koinzidierend mit dem damaligen Wagnerbild und -hörkanon, gefiel mir sehr und schon vom Start weg prima.
    Damals, nicht zu vergessen, war Richard Wagner als angeblicher oder wirklicher Antisemit noch kein Tabu oder doch Semi-Tabu. Aber selbst unter jugendlichen Klassikhörern und E-Musik-Anhängern – ohnehin eine Minderheit – nicht gerade stark im Schwange. Geschweige denn wie heute via Filmmusik-Adaption querbeet und allerorten gewissermaßen ein unhinterfragt stabiler Fun-Faktor. Ich selber war nach einer vorne schon gewürdigten Schlagermusik-Phase und einer folgenden relativ flinken Wanderung und Wandlung zum Verdi- und Mozart-Hörer, auch als ab 1955 zäher Plattenkäufer vor allem der 17cm-Extended Play-Formate, unverhältnismäßig geschwind, ja eiligst bei Wagner angekommen und blieb dem Werk und der gar nicht so durchgehend unsympathischen und abschreckenden Person mit mancherlei Pausen und anschließenden nochmaligen Steigerungen konstant treu angehörig. Seinerzeit hatten Annäherung und Treue freilich auch noch nicht das Dilemma, ja Elend der Regie, zumal des »Regietheaters«, zu bewältigen – die Bayreuther regielichen Halbseidenheiten von Wieland Wagner waren weltweit wohl wesentlich schon das waidwund Äußerste an Zumutung; der gut zehn Jahre spätere Chéreau

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