Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
Platzanweiserin mich weckte, dachte ich, jetzt gehe der Vorspann weiter. Nun, wer wurde noch nicht gefragt? Der Unvermeidliche, Fritz J. Raddatz:
Ich halte Zadek für einen großen Zauberer, manchmal gar genialen Verzauberer des Publikums und vor allem der Schauspieler. Was er hier mit Susanne Lothar an Schauspielerführung geleistet hat, ist phantastisch. Sein Vorhaben, die ›große Reinheit‹ der Figur Lulu, ihre eigentliche Sehnsucht nach Liebe darzustellen, ist gelungen.
Davon versteht er also auch nichts. Was aber den Background-Dichter Wedekind und seine Vorlage betrifft, hat’s keiner so gut getroffen wie Premierenbesucher ›Hanno Tietgens (28), Werbetexter‹ (Wen sie doch heute ins Theater lassen!):
Ich sehe sehr gern nackte Menschen auf der Bühne. Das regt meine Sinne an.
So zaubert Zadek. Und manchmal verzaubert er auch – aber das machen die Putzfrauen nachher wieder weg.«
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Leider nicht mit A. Hüttler selber, aber doch immerhin mit seinem Reichverweser, dem ersten bundesdeutschen NPD -Vorsitzenden Adolf v. Thadden, legte ich mich mutvoll an und gegen ihn entschieden ins Zeug und bestritt mit ihm im Sommer 1969 ein paar Monate vor der Willy-Brandt-Wahl eine Pressekonferenz. Ich erinnere einen stark stressgeschädigten, fast bemitleidenswürdig dauerschwitzenden, mit feuchtglänzender Stirn unentwegt brötchenverdrückenden Herrn zwischen vierzig und fünfzig, Typ Herrenreiter, viel mehr Papen als Hüttler, der kurz vor seiner Machtergreifung nach rasanten Erfolgen in den Vormonaten die Schicksalswaage nun schon gegen sich und die Seinen sich neigen fühlte; bei der Pressekonferenz aber außer allerlei Gefasel gegen die Gastarbeiterüberfremdung und für die Erledigung der Vergangenheitsbewältigungsfrage sich nachhaltig überzeugt gab, die demoskopisch schon bestätigten 15 oder mindestens 12 Prozent am 28.9. auch locker zu erreichen.
Im Zuge etwa gleichzeitiger und teils parteiübergreifender Demo-Aufläufe gegen Thadden und seinen bayerischen Vertreter Pöhlmann stemmte ich mich dagegen aber stark quer – und im Verein mit befreundeten Jusos, Grass und weiteren Rechtschaffenen und Wohlmeinenden verhinderte ich Thaddens Staatsstreich und es gelang mir, seine Partei exakt auf jene 4,3 Prozent zu drücken, die eine allseits befürchtete Koalition mit der CDU/CSU (46,9 Prozent) einerseits an der Fünfprozentklausel scheitern ließ; die andererseits wieder zu viel waren, um, partiell und anteilig zugeschlagen der Christenunion, deren Alleinregierung gegen die eigentlich gar nicht so sehr erfolgreiche SPD (42,7) zu gestatten.
Das war Maßarbeit. Nicht weiter erstaunlich, daß ich, erschöpft herumlungernd im Parteibüro, die Regierungsübernahme Willy Brandts in der Nacht zum 29.9. gar nicht mehr recht mitbekommen habe.
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»Wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt« (Psalm 7,12) schienen mir keineswegs Nietzsche und Benn und dergleichen; sondern ab 1963/64 F.W. Bernstein, Robert Gernhardt und F.K. Waechter die mir schon soweit bekannte triste Gegenwartsdichtung aufzusprengen oder immerhin aufzumischen oder, dann halt eine etwas korrektere Metapher, aufzudengeln, Grassens Blechgetrommel mit dazu und ja vor allem. Das ging ein, zwei, ja drei Jahrzehnte gut und immer der Nas’ lang in den Fortschritt hinein und flott voran, und es narrte einen bald gar das schon fast sorglose Gefühl, die in den Feuilletons und Preisabsprachegremien hätten vielleicht und notgezwungen auch ein bißchen was gerafft. Aber dann, längstens nach Gernhardts Tod im Jahr 2006, eigentlich auch vorher schon, standen wir plötzlich – wieder mitten im Biedermeier! Im verschnarchtesten Biedermeier der späten vierziger und fünfziger, ja z.T. der zwanziger Jahre, im Biedermeier z.Hd. Thomas Mann und Ernst Jünger und demnächst vielleicht auch wieder Gaiser und Hesse sowieso und – ja auch Böll u. dgl. Und kriegten und kriegen jetzt auch wieder saisonal Dickroman auf Dickroman vorgesetzt, buddenbrooksblechtrommelbräsige Brummer ohnegleichen, einer »saftiger« (Hans Wurscht) oder teils sogar schmunzelhafter als der andere. Aber: In enormer epischer Breite, »süchtigmachender« (ders.) Welthaltigkeit und lasterhaft rasend »spannender« (ebd.) Vollmundigkeit sowieso.
Wir hatten uns halt getäuscht. Wir, die mittlerweise gnädig Verstorbenen wie die seufzervoll noch Lebenden – wir hatten dieses zeitlos biedermeierliche Terrain der herrschenden Fadität wohl überhaupt gar nie nicht verlassen.
Für mich
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