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Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Titel: Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckhard Henscheid
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München-Angekränkelten aber war, was damals 1963ff. aus Frankfurt kam, Eingebung der Weltseele, epizentrisch epiphanisch ex negatione:
    »Ein Wort zum Muckertum. Ein ›Kampfbund für entschiedenes Muckertum‹ konstituierte sich in Rottweil. Die Gründungsmitglieder wurden auf eine Satzung vereidigt, die es ihnen zur Pflicht macht, ›allenthalben der Prüderie und Bigotterie Vorschub zu leisten und in der Intimsphäre ihrer Mitmenschen herumzuschnüffeln‹. Ferner bezweckt der Kampfbund, ›die Erotik zu verteufeln und ein Klima unerträglicher Heuchelei zu schaffen‹. Wir meinen: Obwohl wir die Ziele des Bundes nicht in allen Punkten teilen« –
    – war damit, die Atmosphäre zu verbessern, das unerträglich dialektikfern emanzipative, in Wahrheit prüderiesatte und gleichzeitig noch immer abendländisch sich spreizende allg. Aufklärungsgetue der sechziger Jahre – erst mal gestoppt. Virtuell. Tendenziell.
    *
    Ein erfolgreich erledigter Klassenkampf war es nicht, was ich hier voll stolzer Genugtuung vorzuweisen vermöchte. Aber schon so etwas wie eine Besetzung im Sinne eines nicht mehr vor-, sondern fast hochpolitischen Akts, als wir, ein Teil der von mir seit kurzem verstärkten damaligen Frankfurter »pardon«-Redaktion, wie Zeitungsverkäufer bäckermäßig weiß kostümiert, als eine Art Frankfurter Seitenfraktion der damals und zuvor vornehmlich in München irrlichternden Subversiv-Spaß-Guerillas, im Juli 1970 ins Hamburger Springer-Hochhaus und dort in die »Bild«-Redaktion – ausnahmsweise ist das garstige Infantildeutsch mal annähernd richtig: – stürmten.
    Das Eigen- PR -Manöver des Verlegers Hans Alfons Nikel hatte als Anlaß und Hintergrund eine durchaus sinistre »Bild«-Leseraufhetzaktion namens »Jagen Sie den Koffermann!« vom Spätfrühling des Jahres. Die zwar humoristisch-nonsensig aufgetreten, jedoch unserer Redaktionsmeinung nach – vor allem meiner – als parafaschistische Übung gemeint war; nämlich Einübung in Menschenjagd, wie sie »Bild« wohl auch von heute aus geurteilt unwiderlegbar besonders zu Zeiten des Ohnesorg-Mords (1967) betrieben hatte; und nun offenbar fortzusetzen gedachte; ich las damals wohl etwas zu viel Adorno, der seit seinem Amerikaaufenthalt hinter jedem Zufallsblödsinn irgendeinen neuen Hitler/Goebbels erwittern zu müssen meinte. Oder jedenfalls so tat.
    Die Abläufe im Hochhaus waren einigermaßen turbulent und etwas unübersichtlich, umso unartiger wurden wir und aufgeräumter, und hatten uns wohl da erst, am Ort, beflissen, in des irgendwie verreisten Peter Boenisch, des stilbildenden »Bild«-Chefs, Amtszimmer vorzudringen. Was dann auch gelang, und es gelang gleichfalls, vom großen Adenauer-Foto auf dem Schreibtisch Fotos zu machen.
    Es zu vernichten? Nein. Denn: Doch, ja, irgendwie mahnte dieser Adenauer nämlich sogar sozusagen glaubwürdig, wenn man einem schönen, aber falschen Fuffziger wie Boenisch überhaupt was glauben darf. Was wohl der aktuelle »Bild«-Chefkasper heute drauf stehen hat? Den Papst? Merkel? Heidi Klum? Oder präziser doch gleich einen prallen »süßen Popo«, wie er uns seit spätestens der Jahrtausendwende täglich mehrfach als »Bild«-Vokabular ins Gemüt greift, obwohl er doch eigentlich an die Eier gehen möchte. Und aber, Schwamm drüber, letztlich halt doch an das letzten Endes Gute im Leben glauben heißt.
    Nein, wirklich undenkbar, daß damals auf Pepe Boenischs’ Schreibtisch ein Arsch oder auch nur eine Klum gestanden hätte. Nicht einmal der von ihm bald darauf regierungssprecherlich vertretene H. Kohl hatte da eine Chance. Mit Adenauer vielmehr wurden damals noch Karrieren gezimmert. Von Boenisch wie von Kohl. Basta.
    *
    Durchaus kein Zufall, daß ich kurz vorher schon und ausgerechnet am Tag nach Adornos Tod in Visp/Schweiz am 6.8.1969 nach Frankfurt gekommen war, mich dort bei der damals führenden politisch-satirischen Zeitschrift »pardon« als Redakteurskandidat vorzustellen; denn ab ca. 1980 sprach man dann auch schon konsequent bei deren dominanten Figuren als von der Neuen Frankfurter Schule im Gegensatz zur, aber in der Kontinuität der alten Adornos; und nur noch folgerichtiger, daß mich endlich 1983 der weitschauende Michael Rutschky zum »legitimen Erben Adornos« ernannte; und das, obschon er damals manchen auch selber dafür galt.
    Jawohl, »so war das damals« (Heino Jaeger a.a.o.); »und tut auch not« (ebd.).

1971–1981
    F reude trinken alle Wesen, folgen ihrer Rosenspur.

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