Denn am Sabbat sollst du ruhen
weniger Berührungspunkte miteinander, aber auch sonst war die Bindung nicht so fest gewesen. Der Junge hat sich mit dem Vater identifiziert und dessen Opposition gegen den Beruf der Mutter übernommen. Aber auch da ist eine deutliche Besserung eingetreten, seitdem er die Beschäftigung bei der Gesellschaft für Naturschutz gefunden hat.«
»Und der Schwiegersohn? « fragte Michael. »Wie war die Beziehung zum Mann ihrer Tochter? «
»Korrekt, denke ich. Vielleicht nicht besonders herzlich, vor allem verglichen mit der Beziehung zur Tochter, aber ihr Schwiegersohn bewunderte Eva durchaus, und sie war ihm sehr dankbar, seit er sie von der geschäftlichen Verantwortung befreit hatte.«
Michael bat – mit aller Vorsicht – um weitere Informa tionen zu den finanziellen Angelegenheiten. Er erwähnte nicht, daß er bereits in Tel Aviv gewesen war und sich mit Hillel Sahavi, dem Schwiegersohn Eva Neidorfs, getroffen hatte.
»Ich bin nicht mit Einzelheiten vertraut«, sagte Hildesheimer. »Ich weiß nur, daß Eva und Hillel zusammen aus Chicago zurückgekehrt sind, um an der großen Direktoriumssitzung am Sonntagmorgen teilzunehmen. Eva hatte ihren Urlaub wegen der Sitzung um einen Tag verlängert. Als ich mit ihr telefoniert habe, beklagte sie sich darüber, daß sie auf dem Flug von New York alles das hätte nachholen müssen, vor dem sie jahrelang erfolgreich ausgewichen sei. Vier Stunden hindurch erklärte Hilles ihr, worum es bei der großen Sitzung gehen würde und wie sie abstimmen sollte. Eva und Hillel waren beide zeichnungsberechtigt.«
Ohne die Stimme zu heben oder auch nur die Haltung zu ändern und bemüht, seine Nervosität zu verbergen, fragte Michael, ob es zwischen ihnen Meinungsverschiedenheiten gegeben habe.
Der Alte gab ein heiseres Lachen von sich: »Eva hätte sich nie wegen Geschäften gestritten! Im Gegenteil: Sie hätte Hillel am liebsten alles übertragen und für sich selbst nur eine Rente behalten, aber er war dagegen. Er wollte alles mit ihr besprechen. Darüber hat sie sich oft beklagt.«
Plötzlich begriff der Alte, worauf Michael hinauswollte. Er musterte ihn scharf und schüttelte dann den Kopf. »Da sind Sie auf der falschen Fährte.«
Michael rechtfertigte sich, daß es durchaus möglich sei, daß ein Außenstehender den Mord im Institut verübt und den Verdacht auf die dort Tätigen gelenkt habe.
Die Vorstellung, daß der Mörder ein Außenstehender sei, behage ihm durchaus, räumte Hildesheimer ein. »Aber Hillel kann es unmöglich gewesen sein. Er hat keinerlei Motiv, und schon gar kein finanzielles.« Der Alte schüttelte einige Male den Kopf und betrachtete Michael, als müsse er sein Urteil über den Polizisten noch einmal überprüfen. Er rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum; endlich schien er sich zu beruhigen.
Michael empfand ein gewisses Schuldgefühl, weil er nichts von seiner Begegnung mit Hillel erzählt hatte. Hillels Alibi war absolut wasserdicht. Er hatte seit seiner Rückkehr die Intensivstation, in der seine Mutter lag, nicht verlassen. Michael begriff nicht, welcher Dämon ihn daran hinderte, seine Begegnung mit Hillel zu erwähnen.
Dann war der Zeitpunkt gekommen, um nach dem Vortrag zu fragen. Beiläufig erkundigte er sich, ob es richtig sei, daß Dr. Neidorf ihre Vorträge besonders gründlich vorbereitet habe.
»Von wem auch immer Sie das wissen«, erklärte Hildesheimer. »Ihr Informant hatte keine Ahnung. Niemand, niemand auf der ganzen Welt weiß wirklich, mit welch heiliger Andacht und Furcht Eva einen Vortrag vorzubereiten pflegte. Sie verfaßte Dutzende von handschriftlichen Fassungen, bevor getippt wurde ...«
»Wer tippte für sie?« unterbrach ihn Michael.
»Sie tippte selbst«, entgegnete der Alte. »Es ist vorgekommen, daß ich alle Fassungen Wort für Wort lesen mußte. Und natürlich verlangte sie, daß ich zu allem meine Anmerkungen machte. War sie endlich zufrieden mit ihrer Arbeit, dann tippte sie drei Ausfertigungen. Eine benötigte sie selbst – denn sie las ihren Vortrag stets ab. Eva war kein spontaner Mensch und wußte nicht zu improvisieren.«
»Und die anderen Abschriften?« fragte Michael. Er spürte, wie ihm der Schweiß am Rücken hinablief.
»Die zweite Fassung war für mich bestimmt«, sagte Hildesheimer, »und die dritte bewahrte sie in ihrem Arbeitszimmer auf, ›um auf Nummer Sicher zu gehen‹, wie sie selbst immer sagte. Wir haben uns beide darüber lustig gemacht. Wahrhaftig, sie war eine beispiellose
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