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Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Perfektionistin, in allen Bereichen des Lebens. Aber nur gegen sich selbst war sie so streng. Und wenn es um Fragen der Moral ging, war sie unnachgiebig. Sie kannte keine Kompromisse, wenn ihre ›ethischen Grundsätze‹ betroffen waren. Doch sie war weder rechthaberisch, noch mischte sie sich in fremde Angelegenheiten ein. Es ging ihr vorwiegend um Fragen der beruflichen Ethik, um das Wohl der Patienten oder um die ärztliche Schweigepflicht. Ich selbst habe übrigens ihre Meinung fast immer geteilt.«
    Michael erkundigte sich noch einmal nach dem Vortrag. Ob er die Abschrift in Hildesheimers Besitz sehen könne. »Leider nicht«, sagte der Alte, und Michael hatte das Empfinden, daß sein Atem stockte. »Diesmal besitze ich keine Abschrift. Sie hat den Vortrag in Amerika vorbereitet. Wir haben beide beschlossen, die Nabelschnur endgültig zu durchtrennen; deshalb habe ich mich geweigert, etwas anderes als die endgültige Fassung anzuschauen. Sie sollte die Entscheidungen selbst treffen. Und obwohl sie mehrmals behauptet hat, daß diesmal ein besonders ungewöhnliches Problem vorliege, habe ich darauf bestanden, mich überraschen zu lassen.«
    Michael fragte, ob jemand von Eva Neidorfs Gewohnheit wisse, ihm die Vortragsentwürfe und die Schlußfassung zu zeigen.
    Hildesheimer zuckte die Achseln. Er habe zu niemand etwas darüber verlauten lassen, allerdings gebe es nicht viele Geheimnisse im Institut. Aufrichtig, wie sie war, habe sie ihm gleich zu Beginn jeder Vorlesung für seine Hilfe gedankt.
    Michael fühlte, daß er erblaßte, während er nach der Kopie fragte, die in Eva Neidorfs Besitz gewesen sei.
    Hildesheimer sagte, daß man sie sicher unter ihren Sachen gefunden haben müßte. Sein Gesicht war sehr traurig.
    »Was war der genaue Gegenstand des Vortrags?«
    Die Antwort fiel kurz aus »Moralische und juristische Aspekte der Analyse – Fragen also, die die Therapeuten von Beginn an beschäftigt haben. Ein klassisches Problem: Darf der Therapeut die Geheimnisse seiner Patienten bewahren«, diesen Ausdruck betonte er, »auch wenn sie das Gesetz übertreten haben? Bei Vergehen wie Mord oder Raub stellt sich diese Frage nicht, aber es gibt Grenzfälle, die eine ethische Entscheidung verlangen. Vieles wird während der Behandlung aufgedeckt, viele Informationen gelangen über den Kandidaten zum Kontrollanalytiker. Aber es gibt kei nen Sinn, weiter über den Inhalt des Vortrags zu spekulieren«, schloß Hildesheimer. »In Evas Handtasche, die ich neben dem Sessel im Institut gesehen habe, können Sie den Vortrag finden und selbst lesen.«
    »Genau das ist unser Problem«, sagte Michael. »Man hat keine Spur von den Aufzeichnungen gefunden; keinen Vortrag, keine Notizen, auch keine Schlüssel. In der Hand tasche haben sich Gegenstände des persönlichen Ge brauchs gefunden, Ausweise und etwas Geld, aber sonst nichts.«
    Zum ersten Mal wirkte Hildesheimer wie ein verwirrter alter Mann, der nicht mehr versteht, was um ihn herum vorgeht. Aber nur für einen kleinen Augenblick, dann erholte er sich und bat den Inspektor, sich klarer auszudrük-ken.
    »Stundenlang hat eine Spezialeinheit das ganze Gebäude auf den Kopf gestellt. Die Handtasche ist selbstverständlich besonders gründlich durchsucht worden, zunächst von mir persönlich, gleich nachdem der Arzt seinen ersten Befund geäußert hat. Und auch die Leute vom Labor haben sich für den Inhalt der Tasche interessiert – ich habe eine genaue Aufstellung des Tascheninhalts.«
    Der Alte winkte ungeduldig ab. »Ich verstehe. Aber man muß die Kopie, die bei ihr zu Hause liegt, finden. Den einleitenden Satz hat sie am Telefon vorgelesen. Ich weiß, daß sich in ihrem Haus eine Kopie befindet, schon weil sie mir eine als Erinnerung versprochen hat.«
    Michael Ochajon schaute auf seine Uhr und sah, daß es elf Uhr war. Draußen wehte der Wind so stürmisch, daß er den prasselnden Regen übertönte. Michael erhob sich. Auch der Alte stand auf und wollte wissen, ob er jetzt zu Eva Neidorfs Haus gehe. Michael verstand die Andeutung und fragte, ob er ihn begleiten wolle, nicht ohne auf die späte Stunde und das unfreundliche Wetter hinzuweisen. Hildesheimer wischte diese Bedenken mit einer Handbewegung beiseite, er habe weiß Gott Schlimmeres erlebt, außerdem werde er heute Nacht sowieso keinen Schlaf finden.
    Während Hildesheimer sprach, führte er Michael in den langen Flur zu dem Garderobenständer und zog den schweren Wintermantel an. Sie verließen das stille,

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