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Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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dunkle Haus. Es war sehr kalt draußen. Michael, der im Arbeitszimmer die ganze Zeit über seinen Mantel anbehalten hatte, frö stelte in dem eisigen Wind und war froh, als sie seinen Dienstwagen erreichten.
    Kaum hatte er den Sprechfunk in Betrieb gesetzt, meldete sich die Zentrale, eine müde Frauenstimme. Geduldig hörte er zu. Alle suchten ihn, alle sagten »dringend«.
    »Gut. Ich melde mich später. Und richten Sie in der Sonderkommission aus, daß ich gerade eine Spur verfolge.«
    »Wird gemacht«, seufzte die Frau in der Zentrale.
    Hildesheimer saß, in Gedanken versunken, neben ihm. Michael mußte seine Frage zweimal wiederholen, bis der Alte nickte und Neidorfs Adresse nannte. Dieselbe Adresse hatte Michael auf ihrem Ausweis entdeckt, als er heute Morgen ihre Tasche wieder und wieder durchsucht hatte. Es war eine kleine Straße im deutschen Viertel. Michael manövrierte den Renault durch die Seitenstraßen und parkte vorsichtig ein. Er öffnete Hildesheimer die Tür und half ihm aus dem Auto, das auch ihm zu klein war. Sie gingen durch das kleine Tor und über den schmalen Weg bis zu der schweren Holztür. Michael probierte alle Schlüssel; anfangs im Licht der Straßenlaterne, dann im Schein aller Streichhölzer aus der Schachtel, die Hildesheimer mit bewundernswert ruhiger Hand anzündete. Schließlich begriffen beide, daß sich der Hausschlüssel nicht am Schlüsselbund befand. Keiner sagte ein Wort.
    Michael Ochajon ging zu seinem Auto und kehrte mit einem spitzen Gegenstand und einer neuen Packung Streichhölzer zurück. Er murmelte etwas über die Schliche, die man im Laufe seines Lebens erwirbt, und begann, das Tür-schloß zu bearbeiten. Hildesheimer zündete weiter Streichhölzer an, und zehn Minuten später standen beide in Eva Neidorfs Haus.
    Michael schloß die Tür.
    Im Schein der großen Lampe, die den Vorraum beleuchtete, sah Michael das bleiche Gesicht des Alten. Sein zusam-mengepreßter Mund drückte aus, was sie beide bereits realisiert hatten: Jemand war ihnen zuvorgekommen.
     
     

Fünftes Kapitel
     
     
    Als sie im Eingang zum Behandlungszimmer am anderen Flügel des Hauses standen – er hatte eben seine Hand auf die Türklinke gelegt –, mußte Michael an Brahms' Klarinettenquintett denken und an die Plattenhülle, die er eben auf dem weißen Regal im Wohnzimmer gesehen hatte. Die Platte selbst, abgenutzt und zerkratzt, lag noch immer auf dem Plattenteller.
    In dem großen Wohnzimmer mit den hellen Massivholzmöbeln hatte eine ruhige, kultivierte Atmosphäre geherrscht. Die großen Bilder waren alle abstrakt und farbenreich. Die Blumen in den Töpfen und auf den Fensterbrettern blühten, als gebe es in Jerusalem keinen Winter, doch auch dem dunklen, dicken Teppich gelang es nicht, die Atmosphäre wärmer zu machen. Das Klarinettenquintett auf dem offenen Plattenspieler in der Ecke neben der Tür zum Balkon verriet eine Leidenschaft, die man in der restlichen Einrichtung des Zimmers vergebens suchte.
    Gleich nachdem sie das Behandlungszimmer betreten hatten und Hildesheimer sich in einen Sessel gesetzt hatte – sein großer Körper wirkte eingeschrumpft, sein Gesicht erschöpft und blaß –, fragte Michael ihn nach der Schallplatte.
    »Ja«, sagte der Alte seufzend und zog seinen weiten Win termantel, den er nicht abgelegt hatte, enger um sich, »ich habe immer gewußt, daß sie auch eine sentimentale Seite hatte. Sie liebte gerade die romantische Musik. Manchmal machten wir darüber unsere Scherze.«
    Er lächelte traurig und schien nun völlig in sich versunken. In Michael kam der beinahe unüberwindliche Impuls auf, ihn zu beschützen. Er unterdrückte diese Anwandlung schnell und setzte sich an den alten Schreibtisch. Langsam holte er aus seiner Tasche ein Paar Handschuhe, zog sie mühevoll über seine langen Hände und begann, eine Schublade nach der anderen herauszuziehen. Er ging sehr vorsichtig zu Werke und erklärte Hildesheimer, daß man Fingerabdrücke unbedingt vermeiden müsse. Den Inhalt der Schubladen leerte er auf das Sofa, das gegenüber dem Schreibtisch an der Wand stand.
    Als er an die dritte Schublade kam, sagte Hildesheimer, der ihn aufmerksam beobachtete, daß er dort eine Liste aller Klienten finden könnte, mit denen sich Eva als Analytikerin oder Supervisorin beschäftigt habe. Hildesheimer erhob sich von seinem Sessel. Unter den Papieren in der dritten Schublade müsse sich eine Liste mit Telefonnummern befin den, wiederholte er. Eva habe ihn vor jeder

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