Denn am Sabbat sollst du ruhen
Schlüssel noch an Vortragskopien oder Namensverzeichnisse gedacht. »Ja, aber jemand von der Spurensicherung hätte darauf kom men und eine Wache fürs Haus vorschlagen müssen«, sagte Schorr, um den Polizeichef von der ausschließlichen Verantwortung Ochajons abzulenken.
»Und ich frage mich auch«, schnitt er ein neues Thema an, »warum sie im Institut und nicht zu Hause erschossen wurde.«
»Genau«, erklärte Michael eifrig, »ich habe die ganzen Zusammenhänge doch nur erforscht, um eine Antwort auf diese Frage zu finden. Denn es mußte jemand sein, den sie nicht zu Hause empfangen wollte. Und dafür gibt es in diesem Beruf ganz bestimmte Gründe.«
»Aber dem, was Sie erzählt haben«, wandte Emanuel ein, »entnehme ich, daß sie zu Hause ein Arbeitszimmer hat. Also warum nicht dort?«
»Weil sie natürlich den Ort festgesetzt hat«, sagte Michael, der nicht begriff, worauf sein Vorgesetzter hinaus wollte.
»Sicher. Aber ist nicht dieses Institut ein sehr ungünstiger Ort für einen vorsätzlichen Mord? Nehmen Sie zum Bei spiel Gold, der die Stühle arrangiert hat. Er hätte auch früher kommen können. Und dieser Mord war geplant, der Revolver wurde lange vorher gestohlen. Wer einen Revol ver stiehlt, kann auch alles andere vorsichtiger planen.«
»Gut«, erwiderte Michael, »aber Sie vergessen, daß Neidorf erst vorgestern aus dem Ausland zurückgekehrt ist. Möglicherweise gab es keine andere Gelegenheit.«
»Das habe ich nicht vergessen. Das ist ja der springende Punkt.« Imanuel Schorr stützte seine Handballen an die Tischkante. »Man muß daraus schließen, daß es jemand sehr eilig hatte, daß ihm keine Wahl blieb, daß er sie mit Gewalt von etwas abhalten wollte. Diese Fährte kann uns zum Tatmotiv führen.«
Michael nickte zustimmend.
Der Polizeichef blickte von einem zum anderen, und man konnte sehen, daß er in diesem Augenblick begriff, wovon die Rede war. »Sie glauben also, daß man sich mit der Vorlesung beschäftigen muß?« fragte er mißtrauisch, und beide nickten, einer nach dem anderen.
Michael seufzte. »Das Problem liegt darin, daß niemand den Inhalt des Vortrags kennt und es außerdem schwierig ist, das Verzeichnis ihrer Patienten zu rekonstruieren.«
Imanuel kaute auf einem abgebrannten Streichholz herum, und während er durch das große Fenster und auf den Efeu sah, der bis zum dritten Stock hinaufgeklettert war, sagte er: »Wenn die Verstorbene so ehrlich gewesen ist, wie von allen Seiten versichert wird, dann muß es doch einen Steuerberater geben, bei dem sich Quittungskopien befinden und alles, was man braucht, um die Namen derer zu finden, die sie behandelt hat.«
Schweigen herrschte. Michael sah ihn an und lächelte. Auch wenn er zunächst nichts sagte, brachte er doch zum Ausdruck, daß ihm diese Idee noch nicht gekommen war. Anschließend kündigte er an, daß er ihren Steuerberater tatsächlich aufsuchen werde, sofort nach dem Treffen mit der Tochter, die noch heute aus dem Ausland zurück komme.
»Also glauben Sie, daß in der Vorlesung etwas stand, das jemand bedrohte?« fragte Levi. Er griff nach dem Telefonhörer und bat Gila um Kaffee.
»Ja«, sagte Michael. »Das nehme ich an. Aber es besteht noch eine andere Möglichkeit: daß sie eine Information besaß, die für jemanden gefährlich werden konnte. Und der wollte eine Enthüllung vermeiden.«
»Gut, beides widerspricht sich nicht«, schaltete sich Imanuel Schorr ein. »Vielleicht wollte sie in ihrem Vortrag eine solche gefährliche Information mitteilen.« Er begann, Streichhölzer zu zerbrechen.
»Wollen Sie damit vorschlagen, gelehrter Herr«, begann der Polizeichef in dem Augenblick, als Gila eintrat, »daß wir all die Mordmotive, mit denen wir schon so oft zu tun hatten: Leidenschaft beispielsweise oder Geld, einfach so ausschließen sollen?« Nur Michael nahm Gila zur Kennt nis, die ein Plastiktablett mit drei Mokkagläsern auf den Tisch stellte. Er lächelte und zwinkerte ihr verstohlen zu. Die beiden anderen griffen nach den Gläsern, ohne sie anzusehen.
»Ich bin noch nicht sicher, aber es scheint so«, erwiderte Michael zögernd und blickte auf den Regen, der wieder eingesetzt hatte. Große Tropfen rannen über die Fensterscheiben.
»Denn das ist alles schon da gewesen. Sie wissen ja: Man inszeniert alles so, als ob ...«
»Deswegen habe ich die Sache mit dem Institut geklärt. Sie hätte sich dort mit keinem Außenstehenden getroffen. Nicht am Sabbatmorgen, nicht vor dem Vortrag. Wir
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