Denn am Sabbat sollst du ruhen
daß das Ende der Lagebesprechung nahe war.
Nach kurzem Schweigen erläuterte Inspektor Ochajon seine nächsten Schritte. Er müsse als erstes den Steuerberater aufsuchen, dann werde er wieder zur Klinik fahren, um dort alle zu verhören. Sobald sich Verdachtsmomente ergeben, werde er die Erlaubnis zur Überwachung und zum Abhören der Verdächtigen verlangen. Inzwischen bitte er nur, den Alten überwachen zu lassen.
Arie Levi erhob sich von seinem Platz, stieß seinen Stuhl zurück und verlangte über Haustelefon, der Untersu chungsoffizier solle umgehend erscheinen. Die Besprechung werde sich hinziehen, verkündete er den Anwesenden, bis man weitere Einfälle habe.
»Welches Motiv könnte Linder gehabt haben«, fragte der Nachrichtenoffizier, »welches Motiv könnte jeder einzelne von ihnen gehabt haben?«
Michael erzählte von Linders Verbitterung hinsichtlich seiner beruflichen Tätigkeit. Der Sprecher bezweifelte, daß dies ein Mordmotiv sein könnte. Michael pflichtete ihm bei, erklärte aber, daß er bislang auf nichts anderes gestoßen sei.
»Und was können Sie uns über Eva Neidorf sagen?« fragte der Polizeichef Dani Balilati, der daraufhin in seinen Papieren blätterte und ihren Lebenslauf skizzierte: Geburtsort, das Gymnasium in Tel Aviv, Militärdienst, Ehe, Kinder, Lebensweise, Arbeit, Gespräche mit Nachbarn, ihre wirtschaftliche Lage, die Tatsache, daß es keine Hinweise auf eine Liebesbeziehung gebe. Niemand fragte, woher er all diese Einzelheiten habe.
Michael wurde einmal mehr klar, daß Balilati der beste Nachrichtenoffizier war, den die Polizei je gehabt hatte, ein Mann, der bereits zu Anfang seiner Polizeitätigkeit zu einer Legende geworden war.
Mit einem Mal spürte Michael, wie müde er war. Seit vierundzwanzig Stunden war er nicht mehr zu Hause gewesen, hatte fast nichts gegessen und sich auch nicht mehr umgezogen. Ihm stehe, sagte er, ein langer Tag bevor. Er müsse kurz nach Hause. Der Polizeichef willigte ein.
Imanuel begleitete ihn hinaus, klopfte ihm ermutigend auf die Schulter und sagte: »Schließlich und endlich werden Sie auch diesen Fall klären! Sie erinnern sich doch noch an den Mord an der Kommunistin. Wissen Sie noch, wie festgefahren die Situation war? Hätten Sie geglaubt, daß wir es schaffen?« Und dabei klopfte er ihm wieder auf die Schulter. »Und dann wollte ich Ihnen noch etwas sagen: herzliche Glückwünsche zum Geburtstag, Inspektor Ochajon. Wie alt werden Sie denn? «
»Achtunddreißig«, erwiderte Michael verlegen. Er hatte das völlig vergessen. Er hatte sogar vergessen, daß Sonntag war.
»Also lächeln Sie«, befahl ihm Schorr, »Sie Grünschnabel. Sie haben das ganze Leben noch vor sich. Was wissen Sie überhaupt? Hören Sie auf einen alten Mann, der sich kaum noch an den Tag erinnern kann, an dem er vierzig wurde.«
Michael lächelte noch, als er sein Zimmer betrat. Auf dem Tisch stand in einem Plastikbecher eine rote Rose mit einem Zettel: »Du kannst mich zu Hause erreichen. Bin ein wenig schlafen gegangen. Glückwünsche zum Geburtstag. Einzelheiten, die ich von seiner Frau und den Nachbarn erfahren habe, mündlich. Alles bestätigt. Er ist sauber.« Es war Zilas Schrift.
Er fand keinen Parkplatz in der Nähe seiner Wohnung, und obwohl er vom Auto bis zur Haustür rannte, war der Weg so weit, daß er klatschnaß wurde. Seine Wohnung lag im Tiefparterre, aber es war keine Kellerwohnung. Man hatte sogar eine Aussicht, da das Gebäude in einem Berghang lag.
Kaum hatte er die Tür geöffnet, fühlte er, daß jemand anwesend war. Er schloß die Tür leise und trat ein. Sein Blick überflog den kleinen Salon, den blauen Lehnstuhl, das Sofa, das Telefon, den Bücherschrank, den gestreiften Teppich. Es war niemand da. Dann betrat er das Schlafzimmer und sah Juval, der auf dem großen Bett lag, seine Schuhe ragten über den Rand. Der Junge schien zu schlafen, aber Michael, der seinen leichten Schlaf kannte, glaubte es nicht. Er setzte sich neben ihn, fuhr über den Lockenkopf, betrachtete den Flaum, der sich auf dem Kinn zeigte. Da kann man nichts machen, der Junge wird erwachsen, dachte er. Ein weiterer Beweis dafür war seine Stimme, die aus den Tiefen des Kissens ertönte: Der Junge steckte mitten im Stimmbruch. Juval tat, als spräche er im Schlaf: »Es reicht nicht, jemandem den Schlüssel zu geben, man muß auch manchmal daheim sein. Was habe ich nur für einen Vater.«
»Was denn für einen?« fragte Michael seufzend. Er wußte, worauf das
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