Denn am Sabbat sollst du ruhen
Endlich willigte der Verwalter ein, später zu kommen, sobald seine Frau zurückkehre. Vermutlich in zwei Stunden.
Daraufhin fragte Michael nach Eva Neidorf. Doch weder Dr. Baum noch Schwester Dvora hatten Kontakt zum Institut. Sie kannten Eva Neidorf, die eine spezielle Beraterfunk tion am Krankenhaus und an der nahen Poliklinik inne hatte, nur oberflächlich. Schwester Dvora fiel auch nie mand aus dem Krankenhaus ein, der beruflichen Kontakt mit Eva Neidorf gehabt hatte.
Baum aber kannte jemanden, wie sich herausstellte. Nachdem Michael deutlich gemacht hatte, daß für seine Nachforschungen jede Information wichtig sein könnte, warf Schwester Dvora dem Arzt einen bedeutungsvollen Blick zu, worauf der die samstäglichen Vorfälle in der Klinik bis in alle Einzelheiten schilderte. Er erwähnte die junge Ärztin Chedva Tamari, ihren Schwächeanfall und wie er erfuhr, daß sie die Patientin der Verstorbenen gewesen war. Auf einem Rezeptformular notierte Dr. Baum Chedvas Telefonnummer. Michael steckte den Zettel in seine Tasche.
Schließlich kam der Hausverwalter, ein bebrillter Mann, mager und nervös. »Ich muß in einer halben Stunde wieder zu Hause sein«, sagte er. »Das Baby habe ich bei einer Nachbarin gelassen.« Er wolle die polizeiliche Arbeit nicht aufhalten und sei deshalb auch so schnell gekommen, weil er eine gewisse Verantwortung für den Gärtner trage, der mit seiner Einwilligung am Sabbat gearbeitet habe. »Hoffentlich habe ich damit keinen Schaden angerichtet.«
Der Akte entnahmen sie, daß Alis Nachname Abu-Mu stafa lautete. Der Verwalter erklärte, warum der Gärtner am Sabbat gearbeitet habe.
»Wir werden Sie sofort benachrichtigen, wenn Ali am Montag erscheint«, sagte Baum, und Dvora versprach, ihn telefonisch zu verständigen, falls einer der Patienten sprechen sollte, was Baum allerdings bezweifelte. Beide betonten, wie wichtig es sei, daß Michael weiterhin in Zivilkleidung ins Krankenhaus komme, »um keine überflüssige Unruhe zu verursachen, auch morgen früh«, wie Dr. Baum erläuterte, als er Michael hinausbegleitete. Baum betastete den Verband unter dem Kragen seines dunklen Pullovers. Es regnete in Strömen und war bereits dunkel.
Nava Neidorf-Sahavi war angekommen, aber das Baby hatte von Chicago über New York bis nach Tel Aviv geschrien. Die junge Mutter war vollkommen erschöpft. Ihr Mann bat, sie schlafen zu lassen und das Gespräch aufzuschieben bis nach der Beerdigung.
Die Nummer des Steuerberaters, Firma Seligman und Seligman, notierte Hillel Sahavi auf einen kleinen Zettel. Im Büro meldete sich niemand, und Michael rief in der Wohnung des Steuerberaters an. Seligman, der im Begriff war, das Haus zu verlassen, versprach feierlich, die Unterlagen am Morgen als erstes vorzubereiten.
Nachdem Michael dies alles rekapituliert hatte, streckte er seine Beine aus und blickte verstohlen auf Juval. Der Junge war völlig in das Geschehen auf der Leinwand vertieft. Sein Gesichtsausdruck war nicht zu erkennen, aber sein Körper war angespannt, die Tüte mit dem Popcorn lag unberührt auf seinen Knien. Michael begann, den Film zu verfolgen, und in wenigen Minuten war ihm die furchterregende Handlung klar: Sieben Menschen vom Planeten Erde entdeckten während einer Reise durchs Weltall, daß sich ihnen ein achter Reisender angeschlossen hat, das Geschöpf eines anderen Sterns. Eigentlich ist es kein Geschöpf, sondern ein gestaltloses böses Etwas, undefinierbar, da es nach eigenem Willen jede Form annehmen und ablegen kann. Es tötet die Reisenden einen nach dem anderen, und sie kön nen sich nicht wehren, weil sie nicht vorher wissen, welche Gestalt das Böse annehmen wird.
Michael hoffte, die kommende Stunde schlafen zu können. Science-fiction-Filme langweilten ihn stets. »Mich interessiert die Vergangenheit, nicht die Zukunft«, setzte er Juval einmal scherzhaft auseinander. Aber dieser Film schockierte ihn zutiefst, was vielleicht an seiner Übermüdung lag. Aber alles lief trotzdem auf die Ereignisse der letzten Tage zu. Die Qualen der Ungewißheit und der Angst vor Augen, die die sieben Reisenden im Raumschiff durchmachten, konnte er nicht umhin, sich an die Worte des alten Hildesheimer am Schluß der Begegnung mit der Unterrichtskommission zu erinnern: »Wie sollen wir hier zusammenarbeiten, solange der Fall nicht gelöst ist? Zu viele Menschen sind auf uns angewiesen. Wenn es einen gibt unter uns, der zu einem Mord fähig ist, dann dürfen wir nicht ruhen, bis wir ihn
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