Denn die Gier wird euch verderben - Thriller
roch zwar alt und feucht, aber es stand kein schmutziges Geschirr herum, es gab keine sichtbaren Schmutzränder. Wenn die Familie ein wenig häufiger auf Verwandtschaftsbesuch wäre, könnte sie hier zu Hause sein und alles schön und ordentlich machen.
Da kam Jenny in die Küche. Sie nahm sich ein Glas Wasser und einen Apfel und lehnte sich gegen die Anrichte.
»Wie war es denn so?«, fragte Anna-Maria.
»Gut«, antwortete Jenny mit dieser leichten Stimme, die klarstellte, dass sie jetzt keine Sprechstunde hatte.
Sie könnte ich fragen, dachte Anna-Maria. Wenn ich mich traute.
Jenny würde vermutlich enttäuscht sein. Finden, dass Anna-Maria sich natürlich engagieren müsste, wenn eine Kollegin, die sie schätzte, ausgebootet wurde.
Sie ist so jung, argumentierte Anna-Maria in Gedanken. Alles ist schwarz oder weiß. Oder sie hat Recht. Vermutlich hat sie Recht.
Jenny hielt plötzlich inne und sah sie an.
»Wie geht es dir denn, Mama? Vivian hat mir auf Facebook geschrieben, dass sie dich heute im Fernsehen gesehen hat.«
Ohne Vorwarnung legte sie die Arme um Anna-Maria. Den Apfel in der einen Hand, das Glas Wasser in der anderen.
»Du brauchst eine Umarmung«, sagte sie mit dem Mund an Anna-Marias Schulter.
Anna-Maria hielt ganz still. Hielt den übelriechenden Wischlappen so weit von sich weg, wie sie nur konnte, um Jenny nicht mit diesem Geruch in die Flucht zu schlagen.
Das Leben lief so verdammt schnell, ein Hundertmeterläufer, der sie auslachte.
Eben noch hatte Jenny in ihren Armen gelegen. An ihrer Brust getrunken. Wer war diese langbeinige, geschminkte junge Frau?
Die Zeit soll anhalten, dachte Anna-Maria flehentlich und blinzelte.
Aber der Moment war schon wieder verflogen. Das Telefon in Anna-Marias Tasche klingelte. Jenny ließ sie los und verschwand aus der Küche.
Es war Fred Olsson.
»Sol-Britt Uusitalos Telefon«, sagte er ohne Umschweife.
Er schien mit vollem Mund zu reden.
»Ich bin alles durchgegangen. Hab mir auch ihre gelöschten SMS angesehen. Ich glaube, das müsste dich interessieren.«
D IE S TADT ZEICHNETE SICH als schwarze Silhouette vor dem bleigrauen Himmel ab. Die mächtigen Granitterrassen des Erzberges. Der skeletthafte Glockenturm des Stadthauses. Die dreieckige Kirche wie ein samisches Zelt im Gebirge.
Bei Krister Eriksson wurde geklingelt.
»Maja Larsson«, sagte die Frau und hielt ihm die Hand hin. Krister nahm die Hand.
»Sol-Britt Uusitalos Kusine«, erklärte sie. »Ich wollte Marcus holen.«
Sie war schön. Um die sechzig, schätzte er. Das Haar in tausend Silberzöpfchen hochgesteckt.
Er merkte, dass sie offenbar nicht auf sein Aussehen reagierte. Manche Menschen starrten ihm in die Augen, während sie sprachen, damit ihre Blicke nicht auf seine verbrannte Haut oder die Mäuseohren fielen. Wenn er wegsah oder mit etwas anderem beschäftigt war, konnten sie die Blicke nicht von ihm wenden.
Bei Maja Larsson merkte er nichts dergleichen. Sie sah ihn an wie seine Schwester oder wie Menschen, die ihn gut genug kannten, um sein auffälliges Äußeres zu vergessen.
»Möchten Sie etwas essen?«, fragte er, als sie in die Küche gekommen waren. »Es ist noch etwas da, ich kann es schnell unter die Mikrowelle schieben, wenn Sie wollen.«
Sie nahm dankend an. Stocherte im Essen herum. Sie schien müde zu sein. Für einen Moment glaubte er, sie werde dort an seinem Küchentisch einschlafen. Sie blinzelte langsam, wie ein Kind.
»Ich habe gehört, dass Ihre Mutter krank ist«, sagte er. »Ich kann Marcus behalten, wenn Sie wollen.«
Sie sah dankbar aus.
»Wir können uns vielleicht abwechseln«, schlug sie vor.
Nach dem Essen gingen sie hinaus zur Hundehütte. Es war dunkel, aber Marcus hatte sich mit Decken, Taschenlampe und Comics ausgerüstet. Vera war bei ihm. Als Krister ihn bat herauszukommen, war von drinnen nur heftiges Gebell zu hören, und es stammte nicht von Vera.
»Er ist ein Wildhund«, erklärte Krister.
»Ist er gefährlich?«
»Nein, ich glaube, er ist lieb.«
Sie konnten locken, so viel sie wollten, der Wildhund kam nicht heraus. Er knurrte und kläffte als Antwort auf ihre Lockrufe.
»Er kennt mich ja nicht«, sagte Maja leise. »Hier fühlt er sich wohl geborgen. Er hat vielleicht gesehen, wie Sol-Britt …«
»Er kann hierbleiben«, flüsterte Krister.
»Ganz sicher? Danke.«
Laut sagte Maja: »Auch wenn er lieb ist, ich glaube, ich traue mich vielleicht doch nicht, diesen wilden Hund mitzunehmen. Vielleicht kann ich
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