Denn mit Morden spielt man nicht - Granger, A: Denn mit Morden spielt man nicht - Mixing with murder
konnte, wenn man seinen eigenen Raum behielt und andere den ihren. War ich wie diese Katze? Sahen andere Menschen mir an meinen Augen an, was ich durchgemacht hatte? Die Vorstellung gefiel mir nicht.
Es ist gar nicht schwer, obdachlos zu werden. Die Leute, die es nicht besser wissen, scheinen zu glauben, dass Obdachlose mit Absicht kein Dach über dem Kopf haben. Weil sich schon irgendjemand findet, der ihnen hilft. Doch so ist das nicht. Oder falls doch, dann ist diese Hilfe an Bedingungen geknüpft. Viele Leute auf der Straße sind dort, weil sie sich verlieren wollen, weil sie untergehen wollen in der Anonymität der Bürgersteige und Ladeneingänge. Unter ihnen sind diejenigen, deren Ehen gescheitert sind, deren Leben zerstört sind, die ihre Jobs verloren haben. Dann gibt es die mental Erkrankten. Und es gibt die, für die sich das ganze Leben nur noch um Drogen oder Alkohol und die Beschaffung davon dreht, ein nicht enden wollender Teufelskreis. Sie verbringen ihre Tage in verschwommenem Verlangen, mit schmerzhaften Entzugssyndromen und viel zu kurzen Schüben von Erleichterung, gefolgt von langer Bewusstlosigkeit. Unter ihnen sind ehemalige Bullen, die eines Tages im Gefängnis landen werden. Darunter sind Jugendliche, die von ihren zerrütteten Elternhäusern und vor den gewalttätigen Vätern davonlaufen, und andere aus sogenannten »guten« Familien, gegen die sie sich aufgelehnt haben und die nun außerstande sind, zu dem zurückzukehren, was sie hinter sich gelassen haben. Wieder andere sind durch die Maschen des sozialen Netzes gefallen, andere waren als Kinder in Waisenhäusern, und weil sie keine Kinder mehr sind, kümmert sich niemand mehr um sie. Wohin sollen sie gehen? An wen können sie sich wenden?
Ich wurde mit sechzehn obdachlos, als Großmutter Varady starb. Mein Vater war schon drei Jahre früher gestorben. Großmutter war die Mieterin der Wohnung gewesen, und der Vermieter wollte mich los sein. Es war ihm egal, was aus mir wurde. Er empfahl mir, zum Sozialamt zu gehen. Ich verspürte keine Lust, mir mit Drogensüchtigen und Geisteskranken in einer Herberge die Nächte um die Ohren zu schlagen, also schlief ich in einem öffentlichen Park. Später dann besetzte ich gemeinsam mit anderen mein erstes leerstehendes Haus in einer Reihe von vielen. Nach einer Weile bekam ich durch die Hilfe von jemandem, dem ich geholfen hatte, endlich eine Wohnung. Es hielt nicht lange. Schließlich wurde mir die Wohnung, in der ich jetzt lebe, von einer Wohltätigkeitsorganisation angeboten, die unter anderem auch das Hospiz führte, in dem meine Mutter gestorben war. Endlich hatte ich einen Ort, an dem ich mich sicher fühlen konnte. Trotzdem, meine Tage »ohne feste Anschrift« hatten offensichtlich ihre Spuren bei mir hinterlassen.
»Reiß dich zusammen, Fran!«, schalt ich mein Spiegelbild. »Fang nicht an zu brüten! Je früher du anfängst, dich um deine Aufgabe zu kümmern, desto früher bist du zurück in London!« Und dort gehörte ich hin. Dort scherte sich niemand darum, wie ich aussah oder welche Vergangenheit ich hatte. Die gesegnete Anonymität großer Städte macht einen Gutteil ihrer geradezu magnetischen Anziehungskraft aus.
Ich brauchte nicht lange, um meine Tasche auszupacken. Ich schob Haris Stadtplan in meine Jackentasche und ging nach unten.
Beryl hatte mir nicht gesagt, wo genau ich sie finden konnte, doch die Logik sagte mir, dass ich im hinteren Teil des Hauses suchen sollte, und das Klappern von Teegeschirr führte mich in eine große, helle Küche. Die Wirtin stellte die Teekanne und einen Milchtopf auf einen runden Tisch aus Kiefernholz, der bereits mit Tassen und einem Teller Schokoladenkekse gedeckt war.
Ich setzte mich, nahm dankend eine Tasse entgegen und beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen. Es gab außerdem keinen anderen Weg. »Ich weiß nicht, wie viel Mickey Ihnen erzählt hat …«, begann ich.
Sie winkte ab und zeigte dabei ihre rot lackierten Fingernägel. »Ich kümmere mich nicht um Mickeys geschäftliche Angelegenheiten«, sagte sie. »Sie müssen mir überhaupt nichts erzählen. Ich habe Mickey gesagt, dass ich Sie mit Freuden aufnehme, und wenn Sie irgendetwas über Oxford wissen möchten, fragen Sie mich nur. Viel mehr als das kann ich sowieso nicht für Sie tun, wegen meines Beines.« Sie reichte mit dem Teelöffel nach unten und klopfte damit gegen den linken Unterschenkel. Es gab ein hartes, hohles Geräusch. »Ich hab es verloren«, sagte sie
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