Denn niemand hört dein Rufen
dreizehnten März, um vier Uhr nachmittags eingeschaltet worden sei. Sie sei um halb zwölf am selben Abend ausgeschaltet und nie wieder eingeschaltet worden, was bedeute, dass das
Haus weder übers Wochenende noch am Montagmorgen, als Natalie Raines ermordet wurde, gesichert gewesen sei.
Als sie ihrerseits im Zeugenstand saß, sagte Natalies Mutter Alice Mills aus, ihre Tochter habe immer einen Ersatzschlüssel in einem Kunstfelsen im Garten des Hauses in Closter aufbewahrt. »Gregg wusste von diesem Felsen«, bezeugte sie. »Er hat ihn für Natalie gekauft. Als sie noch zusammenlebten, hat sie immer mal wieder ihren Wohnungsschlüssel verloren oder vergessen. Als sie dann nach Closter gezogen ist, hat er ihr geraten, irgendwo einen Ersatzschlüssel aufzubewahren, sonst würde sie noch irgendwann in einer kalten Nacht ausgesperrt vor ihrem Haus stehen.«
Alice Mills’ darauffolgende Bemerkung wurde aus dem Protokoll gestrichen, doch jedermann im Gerichtssaal hatte sie gehört. Sie hatte angefangen zu weinen, dann hatte sie Gregg angesehen und gerufen: »Du warst doch immer so besorgt um Natalie! Wie konntest du dich nur so verändern? Wie konntest du sie so sehr hassen, ihr das anzutun?«
Der nächste Zeuge war ein Angestellter einer Einzelhandelskette mit einem Beleg, wonach Gregg den Felsen mit seiner Kreditkarte bezahlt hatte.
Die Aussage des Gerichtsmediziners war betont sachlich und emotionslos. Von der Lage der Leiche her zu urteilen, glaube er, dass Natalie Raines in dem Augenblick überfallen wurde, als sie die Küche betrat. Eine Schwellung am Hinterkopf lasse vermuten, dass der Täter sie gepackt und zu Boden geschleudert und dann aus geringer Entfernung auf sie geschossen habe. Die Kugel habe das Herz knapp verfehlt. Innere Blutungen führten schließlich zum Tod.
»Hätte sie gerettet werden können, wenn sie sofort ärztliche Hilfe bekommen hätte?«, fragte Emily Wallace.
»Ja, ganz sicher.«
An diesem Abend stand Emily Wallace in der Sendung Vor Gericht im Mittelpunkt der Diskussionsrunde.
»Dieser Blick, den sie Aldrich nach dieser letzten Frage an den Gerichtsmediziner zuwarf, das war ein ziemlich starker Auftritt«, kommentierte Peter Knowles, ein pensionierter Staatsanwalt. »Natürlich wollte sie den Geschworenen damit sagen, dass Aldrich, nachdem er auf Natalie geschossen hatte, sie immer noch hätte retten können. Stattdessen hat er sie verbluten lassen.«
»Das kann ich nicht akzeptieren«, warf Brett Long, ein Kriminalpsychologe, ein. »Warum sollte er das Risiko eingehen, dass jemand anders sie durch Zufall noch rechtzeitig findet und Hilfe holt? Nein, Aldrich – oder wer auch immer auf sie geschossen hat – glaubte, dass er sie tödlich getroffen hatte.«
Genau dasselbe habe ich auch gerade gedacht, grübelte Michael. Warum habe ich es nicht als Erster gesagt? Ist es deshalb, weil ich Gregg auch nicht die kleinste Unterstützung bieten will? Bin ich so sicher, dass er schuldig ist? Statt Brett Long Recht zu geben, sagte er: »Emily Wallace hat die Gabe, jedem Geschworenen das Gefühl zu geben, sie unterhalte sich in einem intimen Gespräch speziell mit ihm oder ihr. Wir wissen, wie viel Eindruck so etwas machen kann.«
Am Ende der zweiten Prozesswoche wurden die Zuschauer aufgefordert, ihre Meinung über Greggs Schuld oder Unschuld auf der Webseite von Vor Gericht kundzutun. Die Anzahl der Einträge war überwältigend, und fünfundsiebzig Prozent davon hatten für einen Schuldspruch plädiert. Als ein Teilnehmer der Runde ihm zu den Zuschauerreaktionen gratulierte, musste Michael an Katies
bittere Bemerkung denken, dass er sicherlich einen Bonus für seine Sendungen über den Prozess erhalten werde.
Als sich mit jedem Tag das Netz um Gregg enger zusammenzuziehen schien, wurde Michael zunehmend von dem Gefühl gequält, seinen Freund im Stich gelassen zu haben und sogar dazu beizutragen, dass sich die öffentliche Meinung gegen ihn kehrte. Er fragte sich, wie wohl die Stimmung unter den Geschworenen war. Sie waren angehalten, die Berichterstattung in den Medien zu meiden. Doch Michael fragte sich, wie viele von ihnen jeden Abend seine Show verfolgten und ob sie von den Meinungsumfragen beeinflusst werden würden.
Ob Gregg sich Vor Gericht anschaute, wenn er wieder in seiner Wohnung war? Michael war sich ziemlich sicher, dass er es tat. Und er fragte sich, ob Gregg auf Emily Wallace ebenso reagiert hatte wie er selbst: Auf geradezu bestürzende Weise hatte sie nämlich
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