Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Denn niemand hört dein Rufen

Denn niemand hört dein Rufen

Titel: Denn niemand hört dein Rufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
Vom Netzwerk:
gewöhnen, wie es sein könnte, wenn sie eines Tages als Zeugin aufgerufen würde. Sie hatte die
Verhandlungen faszinierend gefunden, und besonders war ihr dabei aufgefallen, dass manche Zeugen zu viel redeten und immer wieder vom Richter darauf hingewiesen wurden, nur die Fragen zu beantworten, ohne ihre Meinung zu äußern. Suzie wusste, dass ihr das nicht leichtfallen würde.
    Als dann nach zwei Jahren formell Anklage gegen Gregg Aldrich wegen des Mordes an Natalie erhoben wurde und Suzie endgültig wusste, dass sie als Zeugin beim Prozess auftreten würde, gab es eine lange Diskussion mit ihren Freundinnen, was sie bei Gericht anziehen sollte. »Es könnte ja sein, dass du in den Zeitungen auf die Titelseite kommst«, warnte eine von ihnen. »An deiner Stelle würde ich mir einen hübschen schwarzen oder braunen Hosenanzug kaufen. Ich weiß, dass du Rot am liebsten magst, aber die Farbe kommt mir ein bisschen zu fröhlich vor für jemanden, der beschreiben soll, was du an dem Tag gesehen hast.«
    Suzie hatte in ihrem Lieblingsgeschäft genau das gefunden, wonach sie gesucht hatte: einen braunen Hosenanzug aus Tweed, durchwirkt mit einem dunkelroten Faden. Rot war nicht nur ihre Lieblingsfarbe, sondern es brachte ihr auch immer Glück. Dass wenigstens ein bisschen davon im Muster eingewebt war und dass darüber hinaus der Schnitt des Anzugs ihre Größe vierundvierzig schlanker wirken ließ, verlieh ihr Selbstvertrauen.
    Dennoch, und obwohl sie noch am Tag zuvor ihre Haare hatte färben und in Form föhnen lassen, spürte Suzie ein Kribbeln im Magen, als sie in den Zeugenstand gerufen wurde. Sie legte die Hand auf die Bibel, schwor, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen, und setzte sich auf den Zeugenstuhl.

    Diese Staatsanwältin, Emily Wallace, sieht aber wirklich toll aus, dachte Suzie, und außerdem wirkt sie noch so jung für so einen wichtigen Fall wie diesen. Sie hatte auch eine sehr nette Art, und nach den ersten Fragen entspannte sich Suzie allmählich. Sie hatte ihren Freundinnen schon so oft erzählt, wie sich alles zugetragen hatte, dass es ihr leichtfiel, auf alles ohne Zögern zu antworten.
    Auf Emilys Fragen erklärte Suzie, sie sei in die Garage gegangen, habe Natalies Handtasche und ihren Koffer im Wagen gesehen und dann an die Tür geklopft. Als sie gemerkt habe, dass sie nicht abgeschlossen war, habe sie sie geöffnet und sei in die Küche gegangen. Suzie wollte gerade erklären, dass es nicht ihre Gewohnheit sei, einfach so in fremder Leute Häuser einzudringen, nachdem sie aber die offenen Türen gesehen hätte, sei es diesmal etwas anderes gewesen. Doch sie konnte sich noch rechtzeitig bremsen. Nur die Fragen beantworten, ermahnte sie sich.
    Dann forderte Emily Wallace sie auf, mit ihren eigenen Worten zu beschreiben, was sie in der Küche vorgefunden habe.
    »Ich habe sie sofort gesehen. Wäre ich zwei Schritte weiter gegangen, wäre ich über sie gestolpert.«
    »Wen haben Sie gesehen, Miss Walsh?«
    »Natalie Raines.«
    »War sie noch am Leben?«
    »Ja. Sie hat gewimmert wie ein kleines Kätzchen.«
    Suzie hörte einen Schluchzer aus den Reihen des Publikums. Sie wandte schnell den Blick und sah, wie eine Frau in der dritten Reihe, die sie von Zeitungsfotos her als Natalie Raines’ Tante erkannte, ein Taschentuch aus ihrer Handtasche holte und sich auf den Mund presste. Als sich ihre Blicke trafen, bekam das Gesicht der älteren Frau einen gequälten
Ausdruck, doch es drang kein weiteres Geräusch über ihre Lippen.
    Suzie beschrieb, wie sie den Notruf anrief und danach neben Natalie kniete. »Ihr Pullover war voller Blut. Ich war mir nicht sicher, ob sie mich hören konnte. Aber ich weiß, dass manchmal Menschen, die bewusstlos wirken, in Wirklichkeit noch aufnehmen können, was man ihnen sagt. Deshalb habe ich ihr gesagt, dass alles gut wird und dass der Krankenwagen jeden Augenblick da sein wird. Und dann hat sie einfach aufgehört zu atmen.«
    »Haben Sie sie berührt?«
    »Ich habe ihr die Hand auf die Stirn gelegt und sie gestreichelt. Sie sollte nicht das Gefühl haben, allein zu sein. Sie muss so schreckliche Angst gehabt haben, ich meine, wie sie da lag, mit diesen fürchterlichen Schmerzen und in dem Wissen, dass sie wahrscheinlich sterben muss. Ich kann Ihnen sagen, ich an ihrer Stelle hätte jedenfalls Angst gehabt.«
    »Einspruch.« Richard Moore sprang von seinem Stuhl auf.
    »Stattgegeben«, sagte der Richter. »Miss Walsh, beantworten Sie bitte nur die

Weitere Kostenlose Bücher