Denn niemand hört dein Rufen

nach der Beerdigung nach Hause kam und die dreijährige Katie trösten musste, die weinte und verzweifelt nach ihrer Mutter rief – es war mehr, als man ertragen konnte.
    Die Arbeit war seine Rettung gewesen, und in den ersten Jahren nach Kathleens Tod hatte er fast ununterbrochen gearbeitet. Soweit es möglich war, erledigte er am Vormittag die Geschäfte von zu Hause aus, bis Katie ab zwölf Uhr in die Tagesstätte ging. Er teilte seine Arbeitsstunden so ein, dass er am späten Nachmittag mit ihr zusammen
sein konnte. Er war nur dann auf Cocktailpartys und Premierenfeiern mit seinen Klienten gegangen, wenn sie vorher wenigstens ein bisschen Zeit zusammen verbracht hatten.
    Und dann, als Katie sieben war, hatte er Natalie bei der Verleihung der Tony Awards kennengelernt. Sie war eine der Nominierten und trug ein smaragdgrünes Abendkleid und dazu Schmuck, der, wie sie ihm anvertraute, nur bei Cartier ausgeliehen war. »Wenn ich dieses Halsband verliere, müssen Sie mich erschießen«, hatte sie gescherzt.
    Dann müssen Sie mich erschießen. Gregg spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte.
    Sie hat den Preis nicht bekommen an jenem Abend, und der Kerl, der sie begleitet hatte, war betrunken. Ich habe Natalie dann nach Hause zu ihrer Wohnung im Village gefahren, erinnerte er sich. Ich ging noch auf ein Glas mit nach oben, und sie zeigte mir das Theaterstück, das man ihr angeboten hatte und das sie lesen sollte. Ich kannte es und riet ihr, es abzulehnen. Ich sagte ihr, dass es schon von vielen bekannten Schauspielerinnen in Hollywood abgelehnt worden sei, und außerdem sei es ein miserabler Text. Sie sagte mir, dass ihr Agent sie nachdrücklich dränge, die Rolle anzunehmen, und ich erwiderte darauf, in diesem Fall solle sie ihrem Agenten kündigen. Dann trank ich mein Glas aus und überreichte ihr meine Karte.
    Zwei Wochen später hatte Natalie angerufen, um einen Termin auszumachen, erinnerte er sich. Und das war dann der Beginn einer stürmischen Romanze gewesen, an deren Ende die Hochzeitsmesse in der Schauspielerkapelle von St. Malachy’s Church stand. Drei Monate nach ihrer ersten Begegnung hatten Natalie und er geheiratet. Da war er bereits
ihr Agent. In den vier Jahren, die wir zusammen waren, habe ich alles getan, um ihr zu ihrem großen Durchbruch zu verhelfen, dachte Gregg. Aber habe ich nicht auch immer das ungute Gefühl gehabt, dass unsere Ehe nicht lange halten würde?
    Er umrundete den Wasserspeicher und lief in südlicher Richtung weiter. Wie viel hatten seine unentwegten Versuche, sich zu versöhnen, mit wirklicher Liebe zu tun gehabt, wie viel davon war Obsession? Ich war von ihr besessen. Aber ich war auch besessen von der Sehnsucht, das wiederzuerlangen, was ich verloren hatte, eine Frau, die mich liebte, eine gute Mutter für Katie. Ich wollte Natalie nicht verlieren und wieder von vorn anfangen müssen.
    Ich wollte verhindern, dass Natalie sich ihre Karriere verbaute, und sie war drauf und dran, genau das zu tun. Leo Kearns ist ein guter Agent, aber er hätte Kapital aus ihr zu schlagen versucht und nur die Fehler ihres ersten Agenten wiederholt.
    Warum bin ich ihr nach Cape Cod gefolgt? Was habe ich mir dabei gedacht? Was war mir an dem Morgen durch den Kopf gegangen, an dem sie ermordet wurde?
    Ohne es zu merken, war Gregg die ganze Strecke bis Central Park South gelaufen und wieder in nördliche Richtung gestartet.
    Als er schließlich nach Hause kam, empfing ihn Katie, fertig angezogen und in äußerster Sorge. »Daddy, es ist halb acht. Wir müssen in zehn Minuten weg. Wo warst du denn so lange?«
    »Halb acht! Es tut mir leid, Katie. Ich habe nochmal über alles nachgedacht. Ich hatte überhaupt kein Gefühl, wie viel Zeit vergangen ist.«
    Gregg duschte in aller Eile. Das ist genau das, was an jenem
Morgen passiert ist, dachte er. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Und ich bin an diesem Tag nicht nach New Jersey gefahren.
    Zum ersten Mal war er sich vollkommen sicher.
    Beinahe sicher, korrigierte er sich.

24
    U m neun Uhr rief Emily den ersten der zwei Zeugen auf, die ihre Anklage unterstützten. Eddie Shea vertrat eine Telekommunikationsfirma und sagte aus, dass nach den Datenaufzeichnungen am zweiten März vor zweieinhalb Jahren von Gregg Aldrichs Handy aus um 18:38 Uhr ein Anruf bei Natalie Raines und um 19:10 bei Jimmy Easton erfolgt sei.
    Der zweite Zeuge war Walter Robinson, der Broadway-Investor, der Gregg in Vinnie’s-on-Broadway angesprochen hatte. Er bestätigte,