Denn niemand hört dein Rufen
Verhandlung am späten Montagnachmittag geschlossen wurde, hatte Emily gerade ihr packendes Plädoyer beendet. Moore hat sein Bestes gegeben, dachte sie, aber die quietschende Schublade konnte er nicht aus der Welt schaffen. Als sie den Gerichtssaal verließ, war sie vorsichtig optimistisch, dass Gregg Aldrich bald hinter Schloss und Riegel sitzen würde. Morgen sollte der Fall an die Geschworenen übergeben werden. Wie lange werden sie wohl brauchen, um zu ihrem Urteil zu gelangen? Hoffentlich wird es überhaupt ein einstimmiges Urteil geben, ging ihr durch den Kopf. Sie schauderte bei dem Gedanken, dass die Geschworenen sich nicht einig werden könnten und sie noch einmal von vorn anfangen müsste.
Auf dem Nachhauseweg hielt sie an einem Supermarkt mit der Absicht, nur ein paar Dinge wie Milch, Suppe und Brot einzukaufen. Doch als sie an der Fleischtheke vorbeikam, blieb sie stehen. Plötzlich hatte sie Lust auf ein richtiges Steak mit Ofenkartoffeln, nach den vielen schnellen Fertigmahlzeiten der letzten Monate.
Sie merkte, wie erschöpft sie war, als sie die Waren zur Kasse trug. Und als sie eine Viertelstunde später in ihre Einfahrt einbog, fragte sie sich, ob sie überhaupt noch die Kraft aufbringen würde, sich das Steak zu grillen.
Von Zachs Auto war nichts zu sehen, und sie erinnerte sich, dass er ihr von seinen neuen Arbeitszeiten erzählt
hatte. Die frisch gepflanzten Blumen waren ganz durchweicht von dem starken Regen, der fast den ganzen Tag über niedergegangen war. Ihr Anblick befremdete sie noch immer.
Während sie ihre Einkaufstüte auspackte, ließ sie Bess ein paar Minuten im Garten herumlaufen, dann ging sie hinauf in ihr Schlafzimmer. Sie zog sich um, schlüpfte in eine alte Jogginghose und ein langärmeliges Shirt und streckte sich auf dem Bett aus. Bess schmiegte sich an sie, und sie zog die Decke über sich und ihr Hündchen. »Bess, ich habe für die gute Sache gekämpft. Jetzt müssen wir sehen, was draus wird«, sagte sie und schloss die Augen.
Sie schlief zwei Stunden, dann wurde sie von ihrer eigenen Stimme geweckt: »Bitte nicht … bitte nicht …«, wimmerte sie leise.
Sie fuhr von ihrem Kissen hoch und saß kerzengerade im Bett. Bin ich jetzt übergeschnappt? Was habe ich da geträumt?
Dann erinnerte sie sich. Ich hatte schreckliche Angst und habe versucht, jemanden aufzuhalten, der mir etwas antun wollte.
Sie zitterte am ganzen Körper.
Auch Bess hatte bemerkt, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Sie zog ihr Hündchen an sich und sagte: »Ach, Bess, ich bin froh, dass du da bist. Dieser Traum war so real. Und ziemlich beängstigend. Der einzige Mensch, den ich kenne und der einen Grund hätte, mir etwas antun zu wollen, ist Gregg Aldrich, aber vor dem habe ich ganz bestimmt keine Angst.«
Plötzlich durchfuhr sie ein Gedanke: Und Natalie auch nicht. Auch sie hat sich nicht vorstellen können, dass er ihr etwas antut.
Mein Gott, was ist bloß los mit mir, dachte sie ungehalten. Sie schaute auf die Uhr. Es war zehn vor acht. Zeit für ein ordentliches Abendessen, endlich die Zeitung lesen und danach Vor Gericht anschauen.
Nach allem, was heute passiert ist, bin ich gespannt, ob Michael Gordon immer noch so überzeugt ist von der Unschuld seines Freundes.
37
H eute war kein guter Tag für Gregg Aldrich«, sagte Michael Gordon mit düsterer Miene, nachdem die Titelmelodie von Vor Gericht verklungen war. »Bei der Befragung durch seinen Verteidiger am Freitag wirkte Aldrich noch zuversichtlich und erschien glaubwürdig, doch heute war dieser Eindruck bald verflogen. Die Anwesenden im Gerichtssaal waren völlig überrascht, als er zum ersten Mal zugeben musste, dass er das Grundstück seiner Frau auf Cape Cod gegen Mitternacht betreten und sie durch das Fenster beobachtet hat. Dies geschah nur zweiunddreißig Stunden bevor Natalie Raines in der Küche ihres Hauses in New Jersey erschossen wurde, nachdem sie von Cape Cod zurückgefahren war.«
Die Teilnehmer der Gesprächsrunde von Vor Gericht nickten zustimmend. Richter Bernard Reilly, der am Freitag noch geäußert hatte, es sei durchaus vorstellbar, dass eine zufällige Begegnung in einer Bar zu abwegigen und falschen Anschuldigungen führen könne, bestätigte nun, dass er bestürzt sei über den zwiespältigen Eindruck, den Gregg Aldrich unter den bohrenden Fragen der Staatsanwältin gemacht habe. »Ich kann mir denken, was in Richard Moore vorging, als Aldrich zugab, dass er damals um Mitternacht seine Nase an der
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