Denn rein soll deine Seele sein
Mann...« Rina verdrehte die Augen. »Er hat sich natürlich nicht getraut, mich anzufassen, aber seine Blicke sprachen Bände. Das war ein Jahr nach Yitzys Tod, und ich sehnte mich so sehr nach ein bißchen Abwechslung. Aber nachdem es ein paarmal schiefgegangen ist, habe ich mich lieber wieder in mein Schneckenhaus zurückgezogen.«
»Was hattest du denn gegen den Mann?«
»Er hat mir zu viele persönliche Fragen gestellt. Ob ich noch zur Mikwe gehe, obgleich ich Witwe bin. Ob ich nach wie vor meinen Trauring trage. Und ob ich immer noch mein Haar bedecke...«
»Was noch?«
»Ob ich auch mal nichtkoscher essen würde. Ob ich schon mal Hasch geraucht hätte. Das klingt für dich vielleicht alles ziemlich harmlos, aber für einen jeschiwa bocher ist es eigentlich sehr ungehörig.«
»Ist er noch hier?«
»Ja. Inzwischen ist er verheiratet und beschäftigt sich mit wissenschaftlichen Arbeiten. Ich glaube, seine Frau hat ihn ein bißchen zurechtgebogen.«
»Wie heißt er?«
Sie sah ihn mißtrauisch an. »Der Mann ist kein Sittlichkeitsverbrecher.«
»Das habe ich auch nicht behauptet. Ich wollte nur wissen, wie er heißt.«
Sie schwieg, und Decker wechselte das Thema. »Mit deinen Verehrern hat es also nie so recht geklappt?«
»Es war eine einzige Katastrophe. Vielleicht habe ich zu früh wieder angefangen.«
»Vielleicht fischst du auch nur im falschen Weiher.«
Sie seufzte. »Es gibt genug jüdische Gemeinden. Größere Gemeinden, mit vielen Männern. Ich bin einfach noch nicht wieder soweit, die gängigen Paarungsrituale durchzustehen.«
»Möglicherweise brauchst du für den Übergang ein bißchen Unterstützung.«
Sie lächelte. »Und da meldest du dich freiwillig?«
»Die Polizei, dein Freund und Helfer...«
»Weißt du was? Du wärst ein sehr guter jeschiwa bocher geworden.«
Er schüttelte sich vor Lachen.
»Nein, im Ernst. Du bist intelligent, wissensdurstig, fleißig. Du stellst die richtigen Fragen. Du bist Anwalt. Eine Jeschiwa ist wie eine Hochschule für jüdisches Recht mit zusätzlichen Vorlesungen über Ethik und Moral. Das jüdische Recht ist sehr viel komplizierter und anspruchsvoller als amerikanisches Recht, das wird dir jeder bestätigen, der sich mal mit bei dem beschäftigt hat.«
»Hört sich an, als ob ich meinen Beruf verfehlt habe.«
»Du lachst, aber ich meine es ernst, Peter. Wärst du als Jude geboren worden und in einer orthodoxen Umwelt aufgewachsen, hättest du ein Fanatiker werden können.«
Er rutschte unbehaglich hin und her. »Du hast wohl nicht zufällig eine Zigarette für mich?«
Sie schüttelte den Kopf. »Möchtest du einen Kaffee? Oder Saft?«
»Nur einen Schluck Wasser.«
Sie stand auf, und er atmete tief. Verflixt heiß hier drin. Komisch, daß ihm das eben erst aufgefallen war. Rina kam mit einem großen Glas Eiswasser zurück.
»Danke.« Er leerte das Glas. »Wenn ihr nicht ins Kino geht und auch nicht zum Essen in Restaurants, was fangt ihr dann mit eurer Freizeit an?«
»Wir haben den Schabbes. Ich koche und backe wie besessen für den Freitagabend und den Samstag, meine Gäste stopfen sich voll, und ich darf hinterher den Abwasch machen.« Sie lachte. »Nein, jetzt mal im Ernst. Der Schabbes ist ein wunderschöner Tag. Morgens gehen wir in die Synagoge, dann habe ich entweder Gäste zum Mittagessen oder wir sind eingeladen, es gibt gute Gespräche, wir singen, lernen, spielen mit den Kindern, essen und trinken. Am Schabbes verzichten wir auf Strom, Telefon und Auto. Ein Tag, den man völlig abgeschlossen von der Außenwelt verbringt, hat reinigende Wirkung, Peter. Wie das Tauchbad in der Mikwe.
Ich habe seit Yitzchaks Tod vor zwei Jahren viel nachgedacht und bin darauf gekommen, daß ich dieses Leben, das sich ganz an religiösen Grundsätzen ausrichtet, gern führe. Es hat Zweck und Ziel, und das ist heutzutage selten genug.«
»Gib mir deine Hand«, bat er. »Keine Angst, ich habe nicht die Absicht, dich zu überfallen. Selbst ein mieser Goj kann sich beherrschen. Ich will nur deine Hand halten.«
Überraschenderweise überließ Rina sie ihm.
»Ich unterhalte mich gern mit dir«, sagte er. »Geht es dir auch so?«
»Das weißt du doch.«
»Wir könnten ab und zu ein paar Stunden miteinander verbringen. Ganz harmlos. Am Strand zum Beispiel. Um miteinander zu reden.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nur einmal. Zum Ausprobieren.«
»Es geht nicht, Peter. Bei dem einen Mal würde es nicht bleiben, das weißt du genau.«
Sie hatte recht.
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