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Denn wer zuletzt stirbt

Denn wer zuletzt stirbt

Titel: Denn wer zuletzt stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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unter der ersten Telefonnummer zu versuchen, bei der Tochter einer Patientin, die Anfang letzten Jahres bei uns gestorben war. Ich wollte fragen, ob sich damals jemand gemeldet hätte, um sie hilfreich in Sachen Wohnung ihrer verstorbenen Mutter zu unterstützen. Zum Ablauf des Telefonats hatte ich mir keinen besonderen Plan gemacht, und es stellte sich schnell heraus, daß dies auch überflüssig gewesen wäre.
    »Dr. Hoffmann? Natürlich weiß ich, wer sie sind. Sie sind dieser Arzt, der uns erzählt hat, es handle sich bei unserer Mutti nur um eine Krise! Und sie wäre fast schon über den Berg! Das haben Sie am selben Tag gesagt, an dem unsere Mutti gestorben ist. Wahrscheinlich finden Sie diese Art besonders mitfühlend!«
    Muttis Tochter schien schon länger darauf gewartet zu haben, mal wieder jemanden richtig wegzuputzen, vorzugsweise aus moralisch überlegener Position.
    »Wenigstens hat uns Ihr Kollege die Wahrheit gesagt.«
    »Mein Kollege?«
    »Oder war es eine Ärztin? Oder eine Schwester? Weiß ich nicht mehr so genau. Jedenfalls hatte jemand auf Ihrer Station den Anstand, uns mitzuteilen, wie schlecht es wirklich um Mutti steht. Und daß sie sehr bald sterben würde. Also, Herr Dr. Hoffmann, entweder verstehen Sie nichts von Medizin, oder Sie sind ein gottverdammter Feigling.«
    Es war nicht herauszubekommen, mit wem sie gesprochen hatte.
    »Ich hoffe, Sie werden doch wenigstens wissen, mit wem Sie zusammenarbeiten, Herr Doktor.«
    Es wurde aufgelegt.
    Immerhin, zwei Sachen hatte ich erfahren. Erstens, dies war eventuell der falsche Weg, um in der Frage Wohnungsvermittlung weiterzukommen. Aber zweitens, daß es tatsächlich jemanden in unserer Klinik gab, der ziemlich genau wußte, wann meine Patienten sterben würden.
    Andererseits war ich nach diesem unerfreulichen Telefonat erst einmal ziemlich ratlos, wie ich in der Sache weiterkommen sollte.
    »Wie wir in der Sache weiterkommen sollen«, korrigierte mich Celine am selben Abend. »Außerdem sind wir doch ein ganzes Stück weitergekommen – unser Verdacht hat sich bestätigt. Ist doch toll!«
    Celine hatte ihre Arme von hinten eng um mich geschlungen, ihre Schenkel fest an meine gepreßt, und ich spürte ihren heißen Atem am Hals.
    »Schneller, Sklave, schneller. Komm schon!«
    Ein tolles Gefühl, dieses fast widerstandslose Gleiten. Doch wie immer war es zu schnell vorbei, und wie immer war es natürlich meine Schuld.
    »Paß auf!« rief Celine noch aufgeregt, aber da war es schon passiert. Ich konnte nicht mehr halten, kopfüber stürzten wir in den Schnee am Ende des Rodelhügels. Wir klopften uns gegenseitig den Schnee aus den Klamotten, zogen den Schlitten wieder zur Imbißbude und gaben ihn der Mutter zurück, die sich eine Pause und den Kindern eine Bratwurst gönnte. Es hatte den ganzen Tag über geschneit, und tatsächlich, ungewöhnlich für Berlin, war der Schnee liegengeblieben. Unter Vollmond und sternenklarem Himmel hatte sich der Hügel von Onkel Toms Hütte zu einem abendlichen Wintersportzentrum gewandelt, um die Imbißbude herum waren sogar Fackeln aufgestellt. Wir entschieden uns für Currywurst mit Glühwein.
    Nach dem zweiten Glühwein entwickelte Celine innerhalb nur weniger Minuten einen neuen Plan. Und ich gebe zu, ihr Plan war nicht ohne Charme. Besonders, weil er mir weitere Telefonate mit Vorwürfen von enttäuschten Hinterbliebenen ersparen würde. Wer läßt sich schon gerne Inkompetenz beziehungsweise Feigheit vorwerfen oder einen Lügner nennen? Um den Plan zu verstehen, muß man allerdings wissen, daß Celine nicht nur, wie erwähnt, Mathematikerin ist und einen Teil ihres Lebensunterhalts mit einer Halbtagsstelle als Mathematiklehrerin bestreitet. Wesentlich besser verdient sie damit, daß sie ein, zwei Tage in der Woche nachmittags oder abends Versicherungen verkauft. Über diese Nebentätigkeit haben wir uns kennengelernt, die näheren Umstände habe ich an anderer Stelle beschrieben und möchte sie hier nicht wiederholen, da ein Gespräch über die Details bei unserem Kennenlernen und deren zeitliche Abfolge regelmäßig zum Streit führt. Aber jetzt sollte ihre Nebentätigkeit wieder ins Spiel kommen: Als Versicherungsmaklerin würde sie sich bei den neuen Mietern oder Eigentümern bei den von mir ausgesuchten Adressen Zugang verschaffen und dabei vielleicht nebenher herausfinden, wie diese Leute an die neue Wohnung gekommen waren.
    Durch den knirschenden Schnee waren wir inzwischen zurück zu mir gestapft, mit

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