Denn wer zuletzt stirbt
Krankenhaus relativ unauffällig umzubringen. Es genügt ein kräftiger Schuß Insulin oder Kalium oder Digitalis zum Beispiel. Nicht weil so etwas nicht nachweisbar ist, sondern weil der Tod im Krankenhaus ein akzeptiertes, daher primär unverdächtiges Geschehen ist. Aber auch das Labor fand in Kiesgrubers Blut keine auffälligen Werte. Ich ließ mir trotzdem eine Serumprobe einfrieren. Die brachte ich gleich nach Dienstschluß zu meinem Freund Michael Thiel.
Michael war lange Jahre Arzt und später Oberarzt in unserem Kliniklabor gewesen, hatte inzwischen aber, nach einem kurzen Zwischenstop in der pharmazeutischen Industrie, sein eigenes analytisches Untersuchungsinstitut aufgemacht. Hier führte er neben Routinekram für den Berliner Raum Spezialuntersuchungen durch, die sich in Häufigkeit und Aufwand für ein normales Kliniklabor nicht lohnen.
Ich gab ihm die Serumprobe von Kiesgruber.
»Und«, fragte Michael, »was willst du wissen? Stinkt mal wieder etwas an der Humana-Klinik?«
»Ich will wissen, woran dieser Mann gestorben ist. Und zwar so fahrplanmäßig, daß jemand den Zeitpunkt mindestens einen Tag vorher gewußt hat. Unsere Pathologen haben nichts Auffälliges gefunden, unser Labor auch nicht. Nach den üblichen Dingen brauchst du also nicht zu suchen, aber dann wäre ich ja auch nicht zu dir gekommen.«
Michael nahm die Serumprobe aus dem Transportbehälter, versah sie mit einer Nummer, steckte sie in eine seiner Kühltruhen und holte uns beiden ein Bier.
»Wie ich deine Spezialaufträge kenne, geht das hier nicht auf Rechnung, oder?«
Ich nickte.
»Kennst du die Geschichte, wo Moische seinen besten Freund Tovek trifft und ihn fragt, ob er ihm tausend Euro borgen könnte? Tovek plündert für den Freund sein Konto, bekommt aber nur neunhundert Euro zusammen. Moische steckt die neunhundert Euro ein und sagt: ›Vergiß aber nicht, Tovek, daß du mir noch hundert Euro schuldest.‹«
Michael öffnete die Biere und goß uns ein.
»Na, dann Prost, mein lieber Moische Hoffmann. Laß mir noch eine Liste der Medikamente da, die dein Patient letzte Woche bekommen hat, damit ich weiß, was ich finden darf.«
Ich hatte sie mitgebracht, und wir konnten uns in Ruhe unserem Bier und einem Gespräch unter Männern widmen. Über die Frauen.
Das erwartete Memo von Verwaltungsleiterin Beate, ich solle bitte die Kosten einer Sektion bedenken und die Tatsache, daß diese Kosten von keiner Krankenkasse oder Rentenversicherung übernommen würden, blieb vorerst aus. Gut so, denn es war noch zu früh, die Angelegenheit mit Beate zu besprechen. Ich hatte eine Reihe von Verdachtsmomenten, doch Beate würde konkrete Beweise fordern. Mit ihrer Ausbildung zum Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zählen in ihrer Welt nur harte Fakten, Fakten, deren Addition ein unbestreitbares Resultat ergeben müssen.
Celine, studierte Mathematikerin und Teilzeitlehrerin am Gymnasium, sieht die Welt anders, selbst Zahlen sind für sie etwas Lebendiges.
»Nur in der Mathematik kannst du das Unmögliche denken, wird es zur Realität. Unendlichkeit, zehn Dimensionen oder auch hundert, das absolute Nichts. Das macht die Mathematik so spannend.« Außerdem vermutet Celine schon eine Verschwörung, wenn sie ihren Anschlußzug verpaßt.
BSE hin, Creutzfeldt-Jakob her, gönnten wir uns mal wieder ein Gourmet-Dinner bei McDonald‘s. Zwischen Burger, Ketchup und Pommes Frites erzählte ich ihr die ganze Geschichte, schränkte aber auch ein.
»Andererseits finde ich es immer noch möglich, daß es eine einfache Erklärung ohne Mord und Totschlag gibt. Ich meine, wer würde wegen ein paar hundert Euro Vermittlungsprovision für eine Wohnung Leute umbringen?«
Klar, daß Celine das anders sah. Ein wenig Mitleid schwang in ihrer Stimme.
»Sag mal, Felix, leben wir in derselben Welt? In meiner Welt werden Leute umgebracht wegen zehn Mark auf dem Sparbuch oder im Streit um eine Parklücke.«
Schön, man liest davon. Aber Celine brauchte meine Bestätigung nicht, schweigend widmete sie sich den Pommes Frites auf ihrem Pappteller und mahlte mit dem letzten Stäbchen ein Muster in die Ketchupmatsche. Dann blickte sie unvermittelt auf.
»Wie lange, denkst du, läuft das schon bei euch? Ist es nicht etwas blauäugig anzunehmen, daß die Sache erst Silvester angefangen hat? Das hört sich doch eher nach einem eingespielten System an.«
Zur Besprechung dieses Aspekts leisteten wir uns noch ein paar Chicken McNuggets. Heute ließen wir kein
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