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Denn wer zuletzt stirbt

Denn wer zuletzt stirbt

Titel: Denn wer zuletzt stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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festgehalten werden. Damit es nicht zu einfach wird und sich der eine oder andere doch die wichtigsten Zahlen merken könnte, bereitete man als nächste Stufe des Chaos die Einführung sogenannter »diagnosebezogener Fallpauschalen« vor. Diese würden sich natürlich nicht nach dem oben erwähnten »ICD 10« richten, sondern – im Ernst! – nach den DRGs, den »Diagnosis Related Groups«.
    Kurz gesagt mangelte es mir auch neben den Pflichtwanderungen mit Trixi nicht an Wochenendbeschäftigung, bis sich Celine am frühen Sonntagabend zum gemeinsamen Kochen einfand, beziehungsweise um mir beim Kochen zuzusehen und von ihrem Ausflug nach Frankfurt zu erzählen. Ich kochte geschmorte Ente mit acht Kostbarkeiten im Wok, ersetzte den Teelöffel Reiswein durch trockenen Sherry, die Wasserkastanien durch Maronen und hörte einer begeisterten Celine zu.
    »Auch bei dem miesen Wetter, es war eine tolle Stimmung! Du mußt dir das mal vorstellen – fast noch Winter, wir alle in Zelten, dieser kalte Nieselregen, überall Schlamm und Pfützen trotzdem gab es keinen Streit, kein böses Wort, im Gegenteil.«
    Ich hackte weiter den Sellerie und den Ingwer zu gleichmäßigen kleinen Würfeln, Kantenlänge drei mal drei Millimeter, und spülte meine Frage, was ich mir in einem Zeltlager unter Gleichgesinnten unter dem Gegenteil von einem Streit vorstellen durfte, mit einem Glas Chardonnay hinunter. Relativ häufig tauchte in Celines Bericht ein gewisser Heiner auf, offensichtlich eine Kreuzung zwischen Mahatma Gandhi und Prinz Eisenherz mit einer »wahnsinnig positiven Ausstrahlung«. An dieser Stelle wären Ente und acht Kostbarkeiten fast den Bach beziehungsweise den Wok hinuntergegangen, denn während Celines Hymne auf Prinz Mahatma Heiner war ich gerade beim Würzen.
    »Und die Demo selbst? War die auch ein Erfolg?«
    »He – bist du sauer, oder was ist los?«
    Irgendwie hatte ich wohl zwischen Zuhören, Mir-die-Situation-Ausmalen und Salzen nicht die richtige Tonlage gefunden.
    »Sollte ich sauer sein?«
    »Warum denn?«
    »Eben. Ich bin nur interessiert, was mit der Demonstration war.
    Celine schenkte mir ihren bekannten Blick, ehe sie antwortete.
    »Schwer zu sagen. Immerhin waren eine Menge Pressefritzen da, das Fernsehen auch. Und in ein paar Gesprächen schien mir, daß wir die Piloten der Lufthansa auf unserer Seite haben.«
    Die deutsche Lufthansa ist offiziell privatisiert, aber irgendwie vertraglich verpflichtet, abgelehnte Asylbewerber auszufliegen. Wahrscheinlich, weil trotz Privatisierung noch über die Hälfte der Aktien von der Bundesregierung gehalten werden.
    »Jedenfalls«, fuhr Celine fort, »werden die Piloten in Zukunft einfach nicht starten, wenn sie die Sicherheit auch nur im mindesten gefährdet sehen. Zum Beispiel, weil der abgelehnte Asylbewerber nicht ordentlich angeschnallt sitzt, sondern steht oder liegt oder tobt. Wenn wir weiter aktiv bleiben, wird die Lufthansa über kurz oder lang ein Imageproblem bekommen, und das wird dem Management nicht gefallen.«
    Trotz des Schummelns mit dem Reiswein und den Wasserkastanien und meiner Irritation beim Abschmecken wurde es ein gutes Chinagericht, meinte auch Celine. Zum Nachtisch gab es Papiermüll vom Hauspflegedienst Süd. Da wir nicht sicher sein konnten, wie streng im Hauspflegedienst Süd auf sortenreine Abfalltrennung geachtet wird, schütteten wir zwei der Müllbeutel auf dem Fliesenboden in der Küche aus, den dritten im Badezimmer und saßen mit unserem Weißwein und Einmalhandschuhen aus der Klinik inmitten unserer Beute.
    Celine hat mir nie erzählt, ob Einmalhandschuhe bei ihr zu besonders aufregenden Phantasien führen, aber plötzlich war sie über mir und nästelte an meinen Hosen herum. Ich war ihr nur zu gerne behilflich, und das Altpapier wurde zu unserem Heuhaufen. Dachte ich dabei an den tollen Heiner von der Flughafendemo? Wahrscheinlich ja. Dachte Celine auch an ihn? Ich habe sie nicht gefragt.
    »Übrigens, ich habe dir etwas mitgebracht.«
    Ich öffnete den Umschlag und war erstaunt.
    »Du schenkst mir eine Flughafen-Aktie?«
    Celine versteckte ihre Nase hinter einer Zeitung.
    »Siehst du, jetzt bist du Miteigentümer vom Flughafen Frankfurt und damit an seinem Image interessiert. Und natürlich mit verantwortlich für alles, was dort passiert.«
    Das schien mir die Grundgesetzformel »Eigentum verpflichtet« etwas sehr zu strapazieren. Aber ich fand es nett, daß Celine in ihrem Zeltlager an mich gedacht hatte. Oder war das

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