Denn wer zuletzt stirbt
schon in Ruhe unsere Entscheidungen in Krankenhausroutine umsetzen und an meinem Terminal die aktuelle Belegungsstatistik eingeben. Ich setzte mich zu Herrn Winter ans Bett.
»Sagen Sie, Doktor, wie geht es Ihrer Frau Tante?«
Es machte keinen Sinn, Herrn Winter zu belügen.
»Sie ist gestorben. Vor zwei Wochen. Friedlich eingeschlafen.«
Herr Winter nickte, hatte es wohl erwartet.
»Das freut mich. Das ist nicht böse gemeint, überhaupt nicht. Sie wissen, Doktor, sie wollte sterben.« Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. »Ich habe sie sehr gemocht, Ihre Frau Tante. Ich erinnere mich gern an unsere Gespräche hier.« Wieder machte er eine Pause. »Darf ich Sie etwas Persönliches fragen, Dr. Hoffmann?«
Trotz meines Nickens zögerte Herr Winter etwas mit seiner Frage.
»Haben Sie ..., verstehen Sie mich nicht falsch ..., ich meine, haben Sie Ihrer Tante dabei geholfen?«
»Nein. Habe ich nicht. Das war nicht notwendig.«
In die Stille zwischen uns drang das Kichern der Lernschwestern, die über den Flur zum Mittagessen liefen. Herr Winter nahm den Faden wieder auf.
»Sie können sich denken, worüber wir uns hier unterhalten, Doktor. Wir wissen sehr genau Bescheid über die Gesetze in Holland und was der Stadtrat in Zürich beschlossen hat. Manchmal habe ich den Eindruck, wir bleiben nur am Leben, um Sie nicht zu enttäuschen.«
»Wenn das so ist«, antwortete ich, »hoffe ich, daß Sie mich noch lange nicht enttäuschen.«
Winter hob die Schultern.
»Ich weiß. Zu Weihnachten hatten Sie mir versprochen, daß ich lebend ins neue Jahr komme. Ich wollte es, und Sie haben Ihr Versprechen gehalten. Jetzt allerdings bin ich mir nicht mehr sicher. Ich glaube, meine Zeit ist langsam abgelaufen. Und ich hoffe nur, Meister Sensenmann weiß das auch.«
Er hatte nicht ganz unrecht. Wir hatten zwar bisher keine neuen Metastasen seines Prostatakrebses gefunden und die Knochenmetastasen waren unter der Bestrahlung wenigstens nicht größer geworden, aber letztlich hatte er sich von seiner Infektion, der Wiederbelebung und der Intensivstation nicht wirklich erholt. Winter rettete mich vor einer unehrlichen Antwort.
»Was macht eigentlich dieser schrecklich häßliche Hund Ihrer Tante?«
Ich erzählte ihm, daß ich Trixi zu mir genommen hatte und sie wahrscheinlich bei mir bleiben würde, da ich keinen Abnehmer für den Teufel fand.
»Sie werden es bald merken, Doktor. Dieser häßliche Hund wird für Ihre Gesundheit sorgen. Ihre Frau Tante hatte vollkommen recht – es wäre viel besser, wenn wir alten Leute unsere Haustiere hier in der Klinik bei uns hätten. Zum Beispiel müßten Sie nicht so viele Antidepressiva verordnen.«
Das hatte ich mir neulich auch schon überlegt, war aber an der Frage gescheitert, was angesichts der bekannten Sterbequote auf dieser Station beim Tod von Frauchen oder Herrchen mit den Tieren geschehen sollte. Meine persönliche Aufnaahmekapazität für verwaiste oder hinterbliebene Haustiere jedenfalls war erschöpft. Doch Herr Winter hatte noch ein anderes Anliegen.
»Eigentlich, Dr. Hoffmann, wollte ich mit Ihnen über mein Testament sprechen.«
Kein ungewöhnliches Anliegen. In der Regel geht es darum, dem Patienten als Arzt die geistige Klarheit zu bescheinigen. Manchmal wird aber auch meine Meinung hinsichtlich der Streichung von Neffe Hans oder Nichte Luise verlangt.
»Sie wissen, Doktor, ich bin kein ganz armer Mann ...«
Wußte ich, zumal nach der gründlichen Besichtigung seiner Eigentumswohnung an der Rehwiese.
»... und da frage ich mich natürlich, wem ich meinen Besitz hinterlassen soll.«
»Was ist mit Ihrer Familie?«
»Meine Familie besteht eigentlich nur noch aus meiner Großnichte. Meine Frau ist lange tot, Kinder hatten wir keine, und Geschwister habe ich auch nicht.«
»Also erbt Ihre Großnichte.«
»Das würde sie, im Moment. Aber, ich glaube, die macht genug Geld mit ihrer Technologiefirma. Eines dieser Startups. Außerdem..., jedenfalls möchte ich, daß etwas Sinnvolles mit meinem Geld passiert.«
»Wie wäre es mit Greenpeace? Oder dem WWF?«
»An so etwas habe ich auch schon gedacht. Andererseits, diese großen Organisationen, da weiß man auch nicht wirklich, was mit dem Geld passiert. Was halten Sie davon, wenn ich mein Geld dieser Station vermache? Ihr könntet die Zimmer freundlicher machen, die Waschzellen modernisieren ...«
Mir fiel ebenfalls das eine oder andere ein, was auf der Station verbesserungswürdig wäre. Aber ich sah auch
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