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Denn wer zuletzt stirbt

Denn wer zuletzt stirbt

Titel: Denn wer zuletzt stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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Mitbringsel doch Ausdruck eines schlechten Gewissens?
    Nachdem wir uns etwas erholt und den umgeschütteten Wein aufgewischt hatten, ging es endgültig an die Arbeit. Was wir zu finden gehofft hatten, fanden wir nicht. Wir entdeckten keine Personalliste oder Lohnbuchhaltung vom Hauspflegedienst Süd, die uns die gesuchte Teilzeitschwester aus der Klinik verraten hätte. Wir förderten auch keine Korrespondenz vom Makler Manfred mit dem Hauspflegedienst Süd zutage, zum Beispiel eine Provisionsabrechnung »Betreff: Freisetzung einer Eigentumswohnung«. Schade.
    Allerdings fanden wir etwas Eigenartiges: Eine stattliche Anzahl ungeöffneter Briefumschläge, adressiert an ganz verschiedene Leute, mit quer über die Stadt verteilten Adressen, vorwiegend hier im Süden Berlins. Diese Adressen hatte jemand durchgestrichen und durch die Adresse vom Hauspflegedienst Süd in Friedenau ersetzt – was hatte das zu bedeuten? Wir öffneten die Kuverts und fanden die Art von Briefen, die ich auch weggeworfen hätte, allerdings erst nach dem Öffnen, denn von außen war ihr Inhalt nicht erkenntlich: Einladungen zur Weihnachtsfeier des Nachbarschaftsheimes, Neujahrsgrüße von der Bank, solche Sachen. An die Namen von zwei Adressaten glaubte ich mich zu erinnern, es könnten ehemalige Patienten von mir gewesen sein.
    Die geheimnisvollen Kuverts legten wir zur Seite, der Rest kam zurück in die Mülltüten und landete kurz vor Mitternacht im Papiercontainer vor meinem Haus, den Trixi zur Erinnerung anpinkelte. Angeregt von der frischen Luft, die sich noch nicht entschieden hatte zwischen, spätem Winter und Vorfrühling, drang ich auf einen zweiten Nachtisch, Celine war dafür. Dieses Mal ohne Einmalhandschuhe und sogar in einem richtigen Bett.
    Keine Frage, der Tod von Tante Hilde hatte mein Leben einschneidend verändert: Jetzt war Schluß damit, morgens schlimmstenfalls unrasiert direkt aus dem Bett in die Klinik zu fahren, und nach der Klinik gab es kein Herumtrödeln mehr mit den unverheirateten oder geschiedenen Kollegen und jenen, die wünschten, sie wären es. Trixi hatte die Umstellung von Hildes Balkon auf Gewaltmärsche mit mir nicht nur voll akzeptiert, sie bestand inzwischen darauf. Meine Versuche, den Hund an Freunde oder Bekannte loszuwerden, waren bisher spätestens gescheitert, wenn es zu einem Besichtigungstermin kam. Immer dann legte es Trixi darauf an, sich von ihrer schlimmsten Seite zu zeigen. Die war allerdings nicht sehr weit entfernt von ihrer alltäglichen Lebensart.
    Früher war ich erst irgendwann im Lauf der Visite endgültig aufgewacht, jetzt kam ich nach den Morgenwanderungen mit Trixi frisch und voller Tatendrang in die Klinik, in der Regel sogar vor dem offiziellen Dienstbeginn. So bearbeitete ich an diesem Montagmorgen gleich meinen Computerterminal und suchte nach den beiden Namen, die mir unter den ungeöffneten Kuverts im Müll bekannt vorgekommen waren, und richtig: Beide waren vor einem knappen Jahr meine Patienten gewesen.
    Ich schaffte es auch noch, vor der Visite bei den für diese Patienten abgespeicherten Telefonnummern anzurufen. Diesmal gab es keinen Grund, mir eine anspruchsvolle Geschichte zurechtzulegen.
    »Guten Tag, hier ist Dr. Hoffmann, Humana-Klinik. Ich hätte gerne Herrn Oelert gesprochen. Er war letztes Jahr Patient auf meiner Station.«
    Gleiches Ergebnis unter beiden Anschlüssen: Beide Wohnungen waren von ihren jetzigen Besitzern im Sommer beziehungsweise im Herbst letzten Jahres bezogen worden, und zwar nach dem Tod der Vorbesitzer. Dann drängte Schwester Käthe zur Visite.
    Die Visite auf einer Station für chronisch Kranke ist anstrengender als auf der Akutstation. Bei einer »normalen« Krankenhausvisite gibt es immer etwas Aktuelles mit den Patienten zu besprechen: neue Untersuchungsergebnisse, die daraus folgenden nächsten Schritte, den Entlassungstermin. Ganz anders bei meinen Chronikern, die aber ebenso gespannt auf die Visite und ihr tägliches Gespräch mit dem Doktor warten und bei denen es nicht genügte, Durchhalteparolen zu verbreiten oder über den neuesten Blutzuckerwert zu philosophieren.
    Die Reihenfolge bei meiner Visite bestimmt der Wochentag. Ich finde es für die Patienten wichtig, daß nicht immer die gleichen am längsten auf das Ereignis des Tages warten müssen. An diesem Montag war Herr Winter der letzte Patient, der Mann mit der falschen Sicherung in der Silvesternacht. Er bat um ein Gespräch. Kein Problem, die Visite war fertig, Käthe konnte

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