Department 19 – Die Mission

untersuchen – und das nicht einmal von Ihnen, sondern aufgrund der Launen eines Politikers? Sind Sie etwa ein Schwachkopf, Stoker?«
    Der Nachtmanager starrte ihn mit offenem Mund an. Schließlich schloss er ihn wieder und murmelte etwas vor sich hin, doch es war zu leise, als dass Van Helsing es hätte verstehen können.
    »Was sagen Sie, Mann? Reden Sie laut, wenn Sie etwas zu sagen haben, oder halten Sie den Mund!«, herrschte Van Helsing ihn an.
    »Ich bin doch nur der Nachtmanager«, sagte Stoker kleinlaut.
    »Das ist keine Entschuldigung, wahrhaftig nicht, und das wissen Sie selbst sehr wohl! Hören Sie mir genau zu: Hat sich in den vergangenen Monaten irgendetwas ereignet, das mit diesen unerklärlichen Vermisstenfällen in Zusammenhang stehen könnte? Denken Sie scharf nach, Mann!«
    Stoker wandte sich von Van Helsing ab, der einen Blick mit seinem Diener wechselte. Der Diener stand reglos und mit steinerner Miene einige Schritte entfernt. Sie warteten auf die Antwort des Nachtmanagers.
    Schließlich hob Stoker den Kopf und sah Van Helsing an. Seine Augen waren noch röter als zuvor, und sein stotternder Atem legte die Vermutung nahe, dass er jeden Augenblick in Tränen ausbrechen konnte. »Ich erinnere mich nicht, Sir, nichts Bedeutsames, abgesehen von der traurigen Geschichte mit unserem Dirigenten, Harold Norris.«
    »Was für eine Geschichte?«
    »Mr. Norris litt unter einer nervösen Disposition, Sir. Vor sechs Monaten gewährte Mr. Irving ihm einen Genesungsurlaub in der Hoffnung, dass seine Abwesenheit aus dem hektischen London seinen Zustand verbessern könnte. Wie ich bereits sagte, Mr. Irvings Großzügigkeit ist grenzenlos …«
    Van Helsing schnitt ihm unwirsch das Wort ab. »Was ist passiert?«
    »Bedauerlicherweise starb Mr. Norris. Er kehrte aus seinem Urlaub zurück, doch sein Leiden war nicht besser geworden, im Gegenteil. Er litt unter Fieber und Hunger, und keine zwei Wochen nach seiner Rückkehr erhielten wir von seinem Bruder die Nachricht, dass Mr. Norris verstorben sei. Wir haben erst letzten Monat einen Ersatz für ihn gefunden.«
    »Wo hat Mr. Norris seinen Genesungsurlaub verbracht?«, wollte Van Helsing wissen.
    »In Rumänien, Sir.«
    Der Diener sog scharf die Luft ein. Van Helsing fragte mit drohender Stimme: »Wo hat dieser Dirigent gewohnt?«
    Stoker starrte ihn verwirrt an. »Sir, Harry Norris war ein freundlicher, netter Mann von mehr als sechzig Jahren und seit mindestens zwanzig Jahren bei uns im Lyceum. Er konnte keiner Fliege etwas zuleide tun, Sir, das darf ich Ihnen versichern. Und selbst wenn ich mich täusche, der arme Mann ist tot und kann unmöglich etwas mit dem Verschwinden zu tun haben, das uns heute Nacht beschäftigt.«
    Van Helsings Hand schoss unter den Falten seines Umhangs hervor, und er fasste den Nachtmanager am Oberarm. Stoker schrie auf.
    »Wo hat er gewohnt?«, wollte der alte Mann von ihm wissen.
    »Ich weiß es nicht, Sir!«, flehte Stoker. »Wirklich, ich weiß es nicht! Er war immer der Letzte, der das Theater verlassen hat, und er lebte allein. Bitte, Sir, wenn Sie meinen Arm loslassen könnten – Sie tun mir weh. Ich bitte Sie!«
    Van Helsing ließ den Nachtmanager los. Stoker hielt sich den Arm und sah den alten Arzt mit einem Ausdruck nackter Angst an.
    »Was befindet sich unter diesem Gebäude?«, wollte Van Helsing wissen.
    »Ich weiß es nicht«, flüsterte Stoker und hielt sich unverwandt den Arm.
    »Vielleicht ist es an der Zeit, es herauszufinden. Bringen Sie uns zum Orchestergraben. Rasch!«
    »Hier entlang«, sagte Stoker leise mit angsterfüllter Stimme und führte die Besucher hinunter in die Eingeweide des Theaters.
    Der zweite Marsch durch die Gänge hinter der Bühne des Lyceums verlief in Schweigen.
    Der Nachtmanager führte sie durch Korridore mit Garderoben rechts und links. Auf einer breiten Tür ein wenig abseits der anderen stand in eleganter Schrift der Name Mr. H. Irving . Andere Türen waren beschriftet mit MASKE, ATELIER, BLASINSTRUMENTE, PERKUSSION und PRIVAT. Sie stiegen eine schmale Treppe hinunter und traten schließlich durch eine Tür, die sich in den hinteren Teil des Orchestergrabens öffnete. Van Helsing legte dem Nachtmanager eine Hand auf die Schulter und schob sich an ihm vorbei. Er betrat den Orchestergraben und ging rasch an dem ordentlichen Arrangement von Stühlen vorbei bis nach vorn zur Dirigentenbox auf einem kleinen Podest. Auf der obersten von zwei Stufen blieb er stehen, ohne die Box zu