Department 19 – Die Mission
warteten, betrachtete Jamie das Wappen. Über einem weiten Kreis, in dem sechs brennende Fackeln ein schmuckloses Kruzifix umringten, thronten eine Krone und ein Fallgitter. Unter dem Kreis waren drei lateinische Worte eingeschnitzt.
lux ex tenebris
»Was bedeutet das?«, fragte Jamie und zeigte auf die Inschrift.
»Licht aus der Dunkelheit«, übersetzte Frankenstein. »Es war der Wahlspruch eines großen Mannes.«
»Von wem denn?«
Die Tür glitt geräuschlos hinter ihnen zu, bis sie mit einem dumpfen Schlag und einem hörbaren Klicken einrastete. Ein lautes Surren ertönte wie von rotierenden Zahnrädern, die schwere Gewichte bewegten, dann gab es ein zweites, lauteres und irgendwie unheilverkündendes Klicken. Die Wand auf der gegenüberliegenden Seite glitt zur Seite und gab den Blick auf einen modernen Lift mit Türen aus glänzendem Metall frei.
»Nicht jetzt«, erwiderte Frankenstein und ging den Korridor hinunter. Nach kurzem Zögern folgte Jamie ihm.
Die Liftkabine besaß keine Knöpfe. Sobald sie eingetreten waren, glitten die Türen zu, und es ging nach unten. Das Gefühl war so vertraut und alltäglich – das flaue Gefühl im Magen, das leichte Vibrieren in den Beinen –, dass die unterschwellige Hysterie, die Jamie verspürte, seit das Ding im grauen Mantel sein Haus betreten hatte, in einen Lachkrampf umzukippen drohte. Jamie riss sich zusammen und wartete, dass die Türen sich wieder öffneten.
Bis es so weit war, zermarterte er sich den Kopf, was er wohl als Nächstes sehen würde.
Es war ein Schlafsaal.
Ein langer, breiter Raum mit Reihen von Betten auf beiden Seiten. Die Betten, olivgrüne Laken und Decken, waren makellos gemacht, als hätte noch nie jemand darin geschlafen, und die Metallspinde, die dazwischen standen, glänzten wie neu.
»Was ist das hier? Wo sind wir?«, fragte Jamie Frankenstein.
Das Monster öffnete den Mund zu einer Antwort, doch seine Stimme wurde vom ohrenbetäubenden Geheul einer Sirene übertönt. Jamie presste die Hände auf die Ohren, und als die Sirene kurz verstummte, sah Frankenstein ihn mit besorgtem Gesicht an. »Ich denke, das wirst du gleich herausfinden«, sagte er.
6
Der Lyceum-Vorfall, Teil 1
The Strand, London,
3. Juni 1892
Die Kutsche kam klappernd vor den hohen Säulen des Lyceum-Theaters in der Wellington Street zum Halten. Es nieselte, und der Kutscher hatte den Umhang eng um die Schultern gezogen, während er darauf wartete, dass seine Fahrgäste ausstiegen.
»Bring mir meine Taschen, Bursche, alle beide«, sagte der alte Mann ungeduldig. Er stand auf dem Pflaster der Straße, die breite Krempe seines Hutes tief ins Gesicht gezogen, während er beobachtete, wie sich die Sonne über den Trafalgar Square senkte.
»Jawohl, Sir«, antwortete der Diener und hob einen schwarzen ledernen Arztkoffer sowie eine braune Aktentasche von der Ladefläche der Kutsche.
Das in die Jahre gekommene schwarze Pferd, das sie durch London gezogen hatte, verlagerte sein Gewicht und tänzelte einen Schritt zurück. Es prallte gegen den Diener, der das Gleichgewicht verlor und mit einem Knie auf der Straße landete. Die Aktentasche segelte zu Boden. Ein angespitzter Holzpflock rollte heraus und direkt vor die Füße eines übergewichtigen Mannes in Abendgarderobe. Der Mann bückte sich, wobei er vor Anstrengung grunzte, und hob den Pflock auf. »He, Bursche!«, sagte er in überheblichem, feistem Tonfall. »Pass gefälligst auf, hörst du? Jemand könnte der Länge nach hinfallen, wenn ihm vermaledeite Hölzer vor die Füße rollen.«
Der Diener sammelte die Aktentasche von der Straße und erhob sich. »Es tut mir leid, Sir«, sagte er.
»Das will ich hoffen, Bursche«, entgegnete der Mann und reichte dem Diener den Pflock, während seine gleichermaßen fette Frau über den schneidigen Humor ihres Ehemanns kicherte.
Der Diener sah ihnen hinterher, als sie Richtung The Strand davonwackelten, dann reichte er seinem Herrn, der das Geschehen ungeduldig verfolgt hatte, die beiden Taschen. Dieser nahm sie ohne ein weiteres Wort entgegen, drehte sich um und stieg die Stufen hinauf. Der Diener wartete einen respektvollen Moment, bevor er ihm folgte.
In der prachtvollen Lobby des Theaters angekommen, blickte sich der alte Mann erst einmal um, während er auf den Nachtmanager wartete. Rechts und links führte eine breite, zweigeteilte Treppe nach oben, und die Wände waren gesäumt von Plakaten früherer Produktionen, von denen die meisten das Gesicht des
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