Department 19 – Die Mission
erstaunt, nachdem sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten.
»Katakomben, Keller oder vielleicht etwas völlig anderes«, erwiderte Van Helsing und nahm die Steinwände in Augenschein.
Der Diener spürte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief. Er hatte seinen Herrn noch nie unsicher erlebt, nicht einen einzigen Augenblick im Lauf der zwei Jahre, die er jetzt bei ihm war.
Der alte Professor näherte sich dem Torbogen, der in den einzigen freien Gang führte, und betrachtete die Fußabdrücke im Staub. »Hier entlang«, sagte er und ging voran.
Der Gang war so eng, dass sie nur hintereinander gehen konnten. Stoker folgte Van Helsing, und der Diener bildete den Abschluss, die Hand in der Jackentasche vergraben und nervös zur Faust geballt.
Van Helsing führte sie durch ein Gewirr von Gängen. An den Kreuzungen träufelte er Öl aus der Lampe auf den staubigen Boden, Markierungen, die ihnen später den Rückweg zur Leiter zeigen sollten.
Es war stockdunkel, ihre einzige Lichtquelle bildeten die flackernden Lampen. Vor ihnen huschten Ratten über den Weg und brachten sich in Spalten und Rissen in Sicherheit. Ihre nackten Schwänze hinterließen schmale geschlängelte Linien im dicken Staub. Schwere Spinnweben hingen von der Decke und verfingen sich im Haar der Männer oder streiften ihnen über die Gesichter. Die dunkelbraunen Spinnen, die die Netze gewoben hatten, hockten in den Ecken. Es waren dickbäuchige Kreaturen, die Van Helsing noch nie gesehen hatte, doch diese Information behielt er für sich. Der Boden war uneben und gesprungen, und sie kamen nur langsam voran. Zweimal musste der Diener den Nachtmanager stützen, weil dieser auf einen lockeren Stein trat und auszurutschen drohte.
Hier einen Verwundeten tragen zu müssen, wäre alles andere als ein Vergnügen.
Es war schwierig einzuschätzen, wie lange sie schon unterwegs waren, doch nach einer Weile wurde in der Ferne ein Lichtschein erkennbar. Die drei Männer hielten darauf zu.
Je näher sie kamen, desto heller wurde das Licht, und immer mehr Einzelheiten der Steinwände waren erkennbar. In Kopfhöhe waren groteske Fratzen in die Steine gehauen, mit aufgerissenen Mäulern, gespaltenen Zungen, die zwischen spitzen Zähnen hervorragten, und Augen, die tückisch aus tiefen Höhlen blickten. Stoker murmelte leise vor sich hin, als er die Fratzen passierte, und sein Flachmann hing inzwischen nahezu permanent an seinen Lippen. Der Diener beobachtete es mit gemischten Gefühlen. Er wollte sich nicht auf einen Betrunkenen verlassen müssen, sollten sie am Ende dieses Labyrinths auf Schwierigkeiten stoßen. Andererseits verspürte er auch nicht den Wunsch, die Fragen des Nachtmanagers zu beantworten oder seine Ängste zu beschwichtigen. Wenn der Brandy dafür sorgte, dass er den Mund hielt und immer schön einen Fuß vor den anderen setzte, dann war der Diener damit zufrieden.
Als sie sich der Lichtquelle näherten, konnten sie sehen, dass es durch einen kunstvollen Bogen hindurchschien, viel größer als der Gang, in dem sie sich befanden. Und in der Tat, Wände und Decke liefen sanft auseinander und weiteten den Korridor. Stoker stolperte – schon wieder –, und der Diener packte den Mann bei der Schulter und hielt ihn fest. Der Nachtmanager murmelte ein Dankeschön, und sie gingen weiter, bis sie den hoch aufragenden Torbogen durchschritten – und sich in der Hölle wiederfanden.
Der Bogen öffnete sich in eine rechtwinklige Höhle, die zu beiden Seiten von flackernden Fackeln erhellt wurde. Der untere Teil der Wände war mit Bildhauereien bedeckt: teuflische Fratzen, menschliche Gestalten und lange Reihen von Text in einer Sprache, die der Diener noch nie zuvor gesehen hatte. Auf einem großen Stein in der Mitte des Raums lag ein Mädchen, an Armen und Beinen mit dicken Tauen gefesselt. Ihre Haut war so hell, dass sie beinahe durchsichtig schimmerte.
»Das ist sie!«, flüsterte Stoker. »Das ist Jenny Pembry!«
Van Helsing durchquerte die Höhle mit schnellen Schritten und begann das Mädchen zu untersuchen, während sein Diener und der Nachtmanager wie erstarrt unter dem Torbogen verharrten und den Horror zu begreifen versuchten, der sie umgab.
In den vier Ecken des Raums befanden sich die übrigen vermissten Mitarbeiter des Lyceum-Theaters.
Zu ihrer Linken sahen sie den Trompetenspieler – oder vielmehr das, was von ihm übrig war. Sein Abendanzug hing in Fetzen von dem verwesenden Rumpf, der in der gemauerten Ecke lehnte.
Weitere Kostenlose Bücher