Depeche Mode
ihm, »warte hier«, sagt er, dreht den Schlüssel von außen im Schloß und verschwindet, Wasja kriegt Panik, tritt gegen die Wand, klopft ans geschlossene Fenster, dreht sich wie eine Ratte im Kreis in diesem engen, von asiatischem Kraut durchstunkenen Kämmerchen, schließlich setzt er sich auf die numerierte Decke, mit der die Liege überzogen ist, und fängt an zu weinen, dabei drückt er die Tüte mit dem Wodka, die er unter dem Arm trägt, fest an sich. Na gut, sagt er zu sich selbst, gut, heul nicht, was können sie dir schon tun, okay, den Wodka nehmen sie dir ab, scheiß auf den Wodka, denk doch – Wodka. Vielleicht ficken. Ja, ficken könnten sie mich, besonders diese Wildsau in Eisenbahneruniform, die mich hier eingelocht hat. Nein, sie werden mich nicht ficken, wie kann man mich denn ficken, aber Wasja betrachtet den Tisch, voller Zigaretten und Kondome, und denkt, daß sie ihn im Prinzip auch ficken können. Oder den Tschetschenen verkaufen, als Ersatzteillager. Brauchen mich die Tschetschenen? Aber sicher. Meine Organe. Dort schneiden sie dir die Nieren raus, die Lunge, die Eier, hängen dich irgendwo im Aul an den Füßen auf und picken an deiner Leber, so wie bei Prometheus, oder sie stopfen dich aus wie ein Kaninchen, die Haut wird zum Fell einer tschetschenischen Kriegstrommel, Mama aus Tscherkassy kann nicht mal das Grab ihres Sohnes besuchen, ich muß abhauen, abhauen, bevor der Baku-Mann wiederkommt; Wasja schnallt den Gürtel ab und bindet die Schiebetür fest, jetzt kommt keiner mehr rein, selbst wenn er wollte, dann versucht er das Fenster zu öffnen, es gibt ein bißchen nach, Wasja streckt die Nase raus in die aromatische Bahnhofsdämmerung, drückt fester, der Spalt wird größer, Wasja verschnauft, entdeckt dabei ein paar Pornohefte auf dem Regal und zwängt sich entschlossen kopfüber ins Fenster. Da geht ein Ruck durch den Zug, er knirscht mit seinen rheumatischen Gelenken und fährt los, Richtung Baku, und schleppt zu allem anderen auch den völlig unschuldigen Wasja Kommunist mit, mein Freund übrigens.
Immer dasselbe: Ob du willst oder nicht – du mußt strampeln, sonst gehst du unter, entweder bleibst du daheim und rührst dich nicht, oder du packst die widrigen Umstände bei den Eiern, und wenn du Erfolg hast, wartet der Jackpot auf dich, keine Ahnung, was die Sieger in so einem Fall kriegen – Rabattkarten, lebenslang Prozente, kostenlosen Sex, kurz und gut – strampel dich ab, anders kommst du nicht raus aus dieser Scheiße; Wasja beobachtet verzweifelt, wie die letzten Bahnhofsgebäude an ihm vorüberziehen, die Spekulantinnen und Schmuggler zurückbleiben, nicht mal Bullen sind zu sehen, in seiner Lage wäre er sogar über die Bullen froh, die ganze bekannte und vertraute Realität verschwindet irgendwo in der blauen Ferne, und derweil hat der Baku-Kommissar seine einfache Arbeit verrichtet, erinnert sich an seine Geisel und versucht, das Abteil zu betreten. Aber die Tür gibt nicht nach. Hey, Ungläubiger, mach auf, ruft er, irgendwas in der Art. Der ganze Waggon hält besorgt den Atem an. Wasja schiebt sich hastig durch das Fenster und merkt plötzlich, daß er feststeckt. Der Schaffner versteht überhaupt nichts. Aus Gewohnheit spricht er Aserbaidschanisch, mit reichlich Einsprengseln slawischer Brudersprachen, erst flucht er einfach nur, dann kriegt er Angst – hoffentlich hat der Junge nicht den Arsch zugekniffen, er appelliert an Wasjas Gewissen, ruft ihn zur Ordnung, ruft die Passagiere auf, das zu bezeugen, der Zug ist schon irgendwo am Stadtrand, da hält es der Fensterrahmen, in dem Wasja Kommunist steckt, nicht mehr aus und birst, Wasja kann sich in Position bringen, dreht sich und segelt zielsicher, wie ein räudiger Straßenkater, aus dem Fenster, der Wind bricht ins leere Schaffnerabteil ein und wirbelt fröhlich Spielkarten, Präserpackungen und Pornobildchen zur Decke, ruiniert so den häuslichen Wohlstand des Angestellten des aserbaidschanischen Verkehrsministeriums. Der endlose Zug, bepackt mit Säcken voller Kohle und Koffern voller Heroin, wedelt fröhlich mit dem Schwanz und fährt mit seinen vordersten Waggons schon auf russisches Territorium, also diese Typen können einem schon echt leid tun.
23.00-8.00
Wasja kollert den Bahndamm hinunter, reißt sich das rechte Hosenbein auf, aber er bricht sich nichts, auch den Wodka, den er die ganze Zeit krampfhaft ans Herz drückt, zerbricht er nicht. Ganz zu schweigen von Rippen, Schienbeinen und
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