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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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sitzt er 1958 bei der Hafenpolizei in Marseille und fragt höhnisch den INTERPOL-Beamten am Ende seiner Geschichte:
    »Nun, glauben Sie immer noch, daß Sie etwas für mich tun können?«
    Zum ersten Mal konnte man etwas tun. Man fand einen Anwalt in Nizza, der bereit war, eine neue Akte anzulegen und den langen Weg weltweiter Nachforschungen zu gehen. Wie er das alles schaffte, wäre eine unglaubliche Geschichte für sich.
     
    Weihnachten 1960 zeigte sich der französische Innenminister gnädig und hob den bis dahin immer noch über Jean Primo schwebenden Ausweisungsbefehl auf. Und der »Mann von Nirgendwo« bekam einen Personalausweis mit dem ernüchternden Vermerk »staatenlos«. Ein kleines, schreckliches Wort — doch für Jean Primo bedeutete es »Freiheit«!
    Was ist aus ihm geworden? Niemand hat es je erfahren...
    Nach einem solchen Leben hängt man kein Namensschild an seine Tür.
     

Reinkarnation
     
    Richard Swink ist ein ungewöhnlicher Mensch. Denn es ist ungewöhnlich, mit kaum zwanzig Jahren so wenig Hoffnung zu haben, sich für so wenig zu interessieren und an so wenig zu glauben!
    Richard Swink ist von Beruf Zeitungsverkäufer in Shaunee, einer kleinen Stadt in Oklahoma. Und dies seit seinem fünfzehnten Lebensjahr. Deshalb kennt er sich heute, 1955, bestens aus in allem, was in den letzten fünf Jahren in der Welt passiert ist. Er kennt sich aus, aber alles läßt ihn völlig kalt. Nur, um sich die Zeit zu vertreiben, aus Langeweile, blättert er manchmal in der frischgedruckten Morgenausgabe herum, jedoch ohne sie wirklich zu lesen. Die Titelseite genügt voll und ganz! Da stehen — wenn es überhaupt welche gibt — die Sensationen des Tages, und manchmal lohnt es sich für den Verkauf, sie durch die Straßen auszuschreien. So zum Beispiel: »Dwight D. Eisenhower zum Präsidenten gewählt!«
    »Charlie Chaplin gegen die Kommunisten!«
    »Krieg in Korea!«
    »Die Spione Julius und Ethel Rosenberg hingerichtet!«
    »Revolte in Guatemala!«
    »Elisabeth Taylor feiert ihren zwanzigsten Geburtstag in Hollywood!«
    Ja, das sind Sensationen! Aber die sind leider nicht immer an der Tagesordnung, und oft genug geht es nur um die unglaubliche Rettung der kleinen Katze der alten Lehrerin, um die schamhaften Ergebnisse der Football-Mannschaft, oder um die fünfte Scheidung irgendeiner Diva.
    Wie gesagt, Richard Swink ist bestens informiert. Die Schlagzeilen der Zeitung prägen sich in sein Gedächtnis ein, hinterlassen jedoch keinen tieferen Eindruck bei dem jungen Mann. Ganz im Gegenteil: Wenn man tagein, tagaus die kleinen und großen Ereignisse der Weltgeschichte an den Mann bringen muß, wird es derart zur Routine, daß einen nichts mehr erstaunen, geschweige denn erschüttern kann. Die Presse ist ja sowieso eine einzige Lüge von der ersten bis zur letzten Seite. Das hat Richard ziemlich schnell herausbekommen. Kein Wunder also, daß er jetzt schon so blasiert ist, völlig gleichgültig für alles, was um ihn herum geschieht. Selbst wenn die Erde in die Luft gehen sollte, würde er wahrscheinlich so wie sonst auch, durch die Stadt laufen und seine Litanei herunterleiern:
    »Rette sich wer kann! Die letzte Stunde hat geschlagen! Rette sich wer kann!«
    Und dann würde er ruhigen Schrittes bis zum Drugstore um die Ecke schlendern und die letzte Stunde der Menschheit so angenehm wie nur möglich verbringen — mit Coca-Cola, Hot-Dogs und Pop-Corn, seinem täglichen Manna.
     
    Richard Swink ist nicht unglücklich. Wer an gar nichts glaubt, wird auch nicht enttäuscht und leidet nicht. Er war nicht traurig, als sein Vater vor Jahren das Haus verließ, als seine Mutter sich gleich danach mit einem Taugenichts tröstete und als er aus mehreren Schulen hinausflog. Ja, er machte sich nicht einmal ernstlich Gedanken um seine Zukunft, als ihm bald klar wurde: Ich muß irgendeinen Job finden, sonst verhungere ich... Es war nur eine Feststellung. Sorgen deswegen machte er sich nicht! Immerhin hatte er die Qual der Wahl: Er konnte zum Beispiel Wagen waschen, oder Schuhputzer werden, oder eben Zeitungen verkaufen! Ja, das war noch das Beste. Ein krisenfester Beruf. Auch wenn die Welt aus den Fugen gerät, Zeitungen wird es immer geben. Je bedrohlicher die Lage, um so mehr ist damit zu verdienen. Katastrophen verkaufen sich immer und überall!
    Seit fünf Jahren also verkauft Richard die Lokal- und Weltgeschichte auf der Straße. Er kennt alle und jeden — und alle kennen und mögen ihn. Andere an seiner Stelle

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