Depesche aus dem Jenseits
Rolle des Trauzeugen übernimmt — und der hat in seiner dürren Beamtenseele keine Einwände.
Draußen vor dem kleinen Raum hat sich das ganze Dorf versammelt. Alle warten finster und betroffen, bis die Jungvermählten herauskommen.
Amélie de B. erscheint als erste, sie stützt sich an ihren Vater. Einige Meter hinter ihnen — der neue Ehemann: 50 Jahre alt. Alle drei steigen in den Pferdekarren des Wildhüters, Amelie setzt sich gehorsam neben ihren Blau-Bart-Gatten, und sie fahren ab unter den vorwurfsvollen, stummen Blicken der Dorfbewohner. Jeder denkt dasselbe:
»Armes Kind! Welche Schande! Der Vater hat es bestimmt verkauft. Warum? Das wissen die Götter! Wahrscheinlich steckt er mit dem Mörder unter einer Decke!«
Wie dem auch sei, ob es einem gefällt oder nicht — Monsieur de B. hat wohl das Recht, sich zu verheiraten, so oft er will. Und dem Wildhüter steht es ebenfalls frei, wem auch immer die Hand seiner Tochter zu geben. Daß diese Leute nicht reden, daß sie keinerlei Kontakt zu anderen Menschen haben — das ist kein Verbrechen. Und es ist auch kein Verbrechen, zweifacher Witwer zu sein. Es darf allerdings der kleinen Amelie jetzt wirklich nichts zustoßen! Auf gar keinen Fall!
Die Monate gehen dahin und es passiert auch nichts. Im Dorf liegt jeder immerzu auf der Lauer — man spioniert nach, man schleicht um das Schloß herum, man fragt ganz nebenbei den Wildhüter, wenn er mal ins Dorf kommt, wie es denn seiner Tochter ginge, ob sie glücklich sei und so weiter... Doch dieser antwortet immer gleichmütig und einsilbig. Aus ihm ist nichts herauszubringen. Und mit der Zeit läßt das Interesse schließlich nach.
Auf dem Schloß lebt Amelie eher wie eine Dienerin, als eine Herrin. Sie kümmert sich um Hühner und Kaninchen, um die Wäsche, um das Essen — eine Hausfrau wie alle anderen auch. Nur, sie geht nie ins Dorf. Niemals! Und vom Dorf kommt nie jemand ins Schloß — niemals! Nur der Arzt.
An einem stürmischen Gewitterabend wird er ans Sterbebett der dritten Madame de B. gerufen. Sie ist gerade 24 Jahre alt geworden! Der Wildhüter holt den Dorfpfarrer und bestellt bei dem Schreiner den dritten kostbaren Sarg aus massivem Eichenholz.
Diesmal reicht es! Dieses Mal ist einmal zu viel!
Die berittene Polizei trabt zu dem verfluchten Schloß und platzt kurz vor der Beerdigung herein. Ein alter, verzweifelter Mann steht am Fenster und schaut hinaus. Das Gesicht der Toten ist mit einem Spitzen-Schleier bedeckt — der Dorfpfarrer und der Arzt stehen stumm in einer Ecke.
»Was geht hier vor!« schnauzt der eine Gendarm, ohne Rücksicht auf die Gefühle der Trauernden. Der Graf murmelt nur:
»Sie ist gestorben... Es ist wie ein Fluch...«
»Herr Doktor, was meinen Sie dazu?«
»Ich glaube nicht an einen Fluch. Madame de B. ist an Schwindsucht gestorben.«
»Und Sie, Herr Pfarrer, haben Sie etwas zu sagen?«
»Nein. Diese Frau ist christlich von uns gegangen. Ich habe ihr die Sterbesakramente gegeben.«
Der Wildhüter wischt sich verstohlen eine Träne ab — aber auch er hat der Polizei nichts zu sagen. Diese Leute reden eben nicht!
»Monsieur de B.... die Umstände zwingen uns, Sie zu bitten, jetzt sofort mit uns zu kommen! Darf ich Sie bitten, uns zu folgen.«
»Ja... ich komme... Ich bin verflucht... ich bin verflucht!«
Einen Tag danach erhängt sich der Graf im Stadtgefängnis, und schon zwei Wochen später ist die Polizei mit den Ermittlungen zu Ende.
»Erste Madame de B. — an galoppierender Schwindsucht gestorben. Punkt. Aus.
Zweite Madame de B. — an galoppierender Schwindsucht gestorben. Punkt. Aus.
Dritte Madade de B. — an galoppierender Schwindsucht gestorben. Punkt. Aus.«
Erst jetzt, da er von Amts wegen dazu gezwungen wird, erzählt der Wildhüter über seine langjährige Freundschaft mit dem Grafen, der ihm während des Krieges das Leben rettete.
Monsieur de B. war verzweifelt darüber, keinen Erben zu haben. Deswegen heiratete er dreimal kurz hintereinander. Jedesmal mit der Hoffnung, endlich einen Sohn zu bekommen, der neues Leben und Fröhlichkeit in das absterbende Schloß bringen würde.
Die beiden ersten Frauen starben an Schwindsucht — das wußte der Wildhüter wohl, als er seine Tochter bat, den Grafen dennoch zu heiraten und ihm einen Erben zu schenken. Mit diesem Kind, mit diesem neuen Leben, wollte er sich seinem Freund, dem Grafen, für sein eigenes gerettetes Leben dankbar erweisen.
Er war ein guter Mann, der aber leider nicht viel
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