Depesche aus dem Jenseits
zu geben, sie zu segnen oder gar zu Grabe zu geleiten.
Eine trostlose Beerdigung also an diesem Winternachmittag. Trostlos und seltsam.
Der Schreiner, der den kostbaren Sarg aus Eichenholz lieferte, ist das einzige menschliche Wesen, das nicht zum Schloß gehört — der einzige Zeuge, der später den neugierigen Dorfbewohner erzählen kann, was sich alles ereignet hat. Und da es kaum etwas zu erzählen gibt, erzählt er um so mehr;
»Das Gesicht der Toten war mit einem Spitzen-Schleier bedeckt. Die beiden Diener knieten neben dem Bett und haben leise geweint. Von dem Ehemann habe ich nur den Rücken gesehen! Er stand die ganze Zeit über am Fenster und sah hinaus. Er hat keinen Blick auf seine Frau geworfen, auch nicht, als ich sie in den Sarg legte! Ich... ich mußte es tun! Es war sonst niemand da! Aber ich konnte unmöglich den Sarg ganz allein durch den Park bis zum Grab tragen! Gott sei Dank ist der Wildhüter noch gekommen, er hat mir dann geholfen. Stellt euch das mal vor... wir, wir beide ganz allein haben sie begraben! Der Ehemann? Der hat uns nicht einmal hinausgebracht! Niemand ist mit uns zum Grab gegangen! Zu zweit haben wir es kaum geschafft, die Gruft zu öffnen! Noch dazu bei der Kälte! Das war eine elende Arbeit! Nachher bin ich mit dem Wildhüter in die Küche gegangen, ich dachte, ich bekomme ein Glas Glühwein oder so... aber nein, gar nichts! Er hat mich bezahlt und kein Wort geredet. Nun ja, da bin ich eben gegangen. Aber das eine sage ich euch — da stimmt etwas nicht! Ein Schreiner und ein Wildhüter begraben allein die Schloßherrin! Findet ihr das vielleicht normal? Ich nicht!«
So entstehen Legenden. Am Anfang ist es nur ein Gerücht, aber bald verbreitet es sich unheilvoll, und jeder dichtet etwas Neues hinzu, etwas Furchtbares versteht sich. Üble Nachrede, ominöse Beschuldigungen laufen durch das Land. Wen kümmert schon die Wahrheit? Hauptsache es ist spannend und schön gruselig.
Monsieur de B. — der letzte Sproß einer heruntergekommenen Adelsfamilie — hatte 1920 eine reizende, schöne Pariserin geheiratet. Sie war so jung wie das Jahrhundert — 20 Jahre alt. Nun stirbt sie plötzlich mit 24 Jahren, und man munkelt in der Gegend, sie wäre keines natürlichen Todes gestorben. Ihr Mann hat sie umgebracht! Wie? Darüber streiten sich allerdings die Geister. Die einen behaupten, er habe sie vergiftet, die anderen sind davon überzeugt, er habe sie erstickt, einige wollen sogar wissen: sie ist lebendig begraben worden!
Bei all diesen Schauer-Geschichten ist selbstverständlich niemand mehr bereit, im Schloß zu arbeiten. Und Monsieur de B. hat nach dem Tod seiner Frau die beiden alten Diener in Pension geschickt. Auch darüber wundert man sich! Wußten sie zu viel? Mußten sie das Schloß verlassen, oder hatten sie auf einmal Angst und sind deshalb selber gegangen? Noch etwas kommt den Dorfbewohnern seltsam vor: Monsieur de B. hat seinem Wildhüter den kleinen Turm im Wald geschenkt. Wenn das kein Beweis ist! Bestimmt hat er damit sein Schweigen erkauft!
In Wirklichkeit ist Monsieur de B. so arm wie eine Kirchenmaus, er kann seinen Wildhüter nicht mehr bezahlen und schenkt ihm deswegen den kleinen Turm — als einmalige Abfindung sozusagen.
Das Schloß selbst ist völlig verwahrlost, die Ländereien sind verwildert. Frederic de B. bewohnt nur noch ein einziges Zimmer des einst so prachtvollen Herrenhauses — er lebt zurückgezogen von allem, vereinsamt und von aller Welt verstoßen. Er ist 45 Jahre alt.
Seit dem rätselhaften Unglückstag wurde er nur einmal im Dorf gesehen, und zwar, als er den Bürgermeister mit seinem Besuch überraschte:
»Herr Graf! Bitte, bitte, nehmen Sie Platz.«
»Keine Umstände.«
»Was verschafft mir die Ehre?«
»Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Sie... brauchen mich? Aber...«
»Lassen Sie nur. Sie wissen ja Bescheid! Also, ich suche eine Frau, die bereit wäre, zwei Stunden am Tag für mich zu arbeiten — im Schloß. Sie sollte nur ein wenig kochen und sich um meine Wäsche kümmern.«
»Tja... wissen Sie...«
»Ich weiß! Aus diesem Grund bin ich zu Ihnen gekommen!«
»Herr Graf, ich will mein Bestes versuchen. Sie hören von mir.«
Monsieur de B. hört aber lange nichts von dem Bürgermeister. Niemand will diese Stelle. Niemand will in das berüchtigte Haus!
Endlich, im Sommer 1925, hat jemand Mitleid mit dem Schloßherrn: der Pfarrer. Er findet eine gute Seele, die für ihn kochen und waschen soll. Die gute Seele lebt im
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