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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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verschlagen hat, genau dahin, wo sein Urgroßvater vor über einem Jahrhundert im Dienste des Vaterlandes sein Leben gelassen hat. Vielleicht nicht gerade in dieser gottverlassenen Wüstenfestung aus Sand und bröckelndem Gestein mitten im Sinai — aber doch irgendwo hier in der Nähe.
    Er war auch Hauptmann, genau wie er selbst! Er nahm 1798 unter General Bonaparte an dem berühmten Ägyptenfeldzug teil.
    Der damals noch nicht dreißig Jahre alte zukünftige Kaiser wollte am Nil seine prachtvollen Strategien erproben, die er auf der Militärakademie erdacht hatte. Auf Generalstabskarten war das alles nur ein leichtes, faszinierendes Spiel, da konnte man ganz nach Belieben die Zinnsoldaten hin und her rücken. Die umgekippten Figürchen brauchte man nur wieder einzusammeln und neu aufzustellen; frisch und unversehrt standen sie dann da, bereit zu erneutem Angriff!
    Krieg ist aber keine Spielerei — in Ägypten erfuhr Bonaparte das zum ersten Mal. Dort, im Sinai, blieben die erschossenen Soldaten mausetot im Sand liegen — die konnte man nicht einfach wieder aufbauen! So endete Hauptmann Marchall 1798 unter der machtvollen ägyptischen Sonne — gefallen auf dem Felde der Ehre...
    117 Jahre danach wartet nun sein Urenkel in derselben Gegend auf den gleichen »Heldentod« — nach einem erbitterten Feldzug gegen die gleichen Feinde wie damals. Ironie des Schicksals oder gerechte Vergeltung?
     
    Hinter den Dünen am Horizont verblassen die Sterne. In zwei Stunden spätestens werden die Türken das kleine Fort stürmen. Hauptmann Machall verteilt die letzten Tropfen Trinkwasser an seine 35 Männer — einen halben Becher für jeden. Und zum Essen — nichts! Seit zwei Tagen schon nicht mehr. Das ist aber nicht das Schlimmste! Wenn es nur Munition gäbe! Ja, dann hätten sie vielleicht eine Chance, die Türken noch einmal abzuwehren. Aber mit 19 Patronen pro Mann können sie genausogut in die Luft schießen!
    Verzweifelt sucht Marchall nach irgendeiner Idee, wie er seine Soldaten wenigstens verstecken könnte. Das wäre vielleicht eine letzte Anstrengung wert: Nicht gleich auf die Türken schießen, sondern ruhig abwarten, bis sie alle über die Mauern in das Fort eingedrungen sind und dann erst schießen. Die altbewährte Überrumpelungstaktik! Da zuckt der Hauptmann erschrocken zusammen — sein Leutnant hat ihm auf die Schulter getippt:
    »Wir haben Besuch!«
    »Jetzt schon?«
    »Nein, nein... noch nicht! Nur dieser Mann hier... Er behauptet, er käme in dem Auftrag, Ihnen einen wichtigen Brief höchstpersönlich zu übergeben!«
    Neben dem Leutnant steht eine unheimliche Gestalt, eingehüllt in einen weiteren Burnus, die Kapuze tief über das Gesicht gezogen. Marchall mustert ihn mißtrauisch und reißt ihm mit einem Ruck die Kapuze vom Kopf : »Wer bist du?«
    Erst da bemerkt er, daß er einen Greis vor sich hat, einen uralten, verhutzelten Araber, der verängstigt ist — und sichtlich am Ende seiner Kräfte. Nein, dieser Mann ist kein feindlicher Spion! Er ist erschöpft, als wäre er schon seit einer Ewigkeit auf dem Weg zu ihm — zu Fuß durch die Wüste. Noch einmal fragt Marchall, jetzt allerdings viel ruhiger:
    »Wer bist du? Du hast einen Brief für mich?!«
    Der Alte kommt näher, zögernd. Auch er ist mißtrauisch und schaut dem Hauptmann direkt in die Augen. Er sagt aber immer noch kein Wort. Zweifel quälen ihn — das sieht man ihm an!
    »Du bist sehr müde, komm, setz dich.«
    Der Alte setzt sich und kramt in seinem Gewand. Er holt tatsächlich einen Brief hervor, preßt ihn aber mit beiden Händen ganz fest an seine Brust. Dann, endlich, spricht er:
    »Bist du der Hauptmann Marchall?«
    »Ja, der bin ich.«
    Nach einer kleinen Pause wiederholt der Mann seine Frage, und jetzt zittert seine Stimme:
    »Bist du wirklich der Hauptmann Marchall? Wirklich?«
    »Ja doch! Was willst du von mir? Wer bist du? Wie heißt du? Wer schickt dich?«
    Der alte Araber wirft sich Marchall vor die Füße — dann wendet er sich gegen Mekka, verbeugt sich wieder, küßt den Boden und stammelt lange Gebete, in denen »Allah kerím«, Gott ist gnädig, immer wiederkehrt! Und er lächelt selig über sein ganzes gutes zerfurchtes Gesicht!
    Die beiden französischen Offiziere verstehen zwar kein Wort — aber ganz offenkundig bedankt sich der Greis bei Allah — »Allah ákbar«... Gott ist groß!
    Hauptmann Marchall kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, was für eine wichtige Nachricht der alte Mann für ihn haben

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