Depesche aus dem Jenseits
erfinden eben einen — das heißt, wenn Sie gerne bleiben möchten!«
»Aber ja!«
»Gut. Also zuerst einmal brauchen Sie einen Titel. Wie wär’s mit... lassen Sie mich mal kurz überlegen... Ja! Kabinettchef des Generalsekretariats der Hauptresidenz von Madagaskar. Einverstanden?«
Charles-André hat nichts dagegen einzuwenden, zumal seine Vergütung dem hochtrabenden Titel durchaus entspricht. Was seine Arbeit betrifft, da herrscht allerdings einige Zeit lang noch Unklarheit. Bis er sich schließlich mit der Tatsache abfindet: Er hat nichts, absolut nichts zu tun. Er kann höchstens — allein durch seine Anwesenheit — die Präsenz Frankreichs in Afrika unterstreichen. Die Wochen ziehen vorüber.
Eines Tages trifft endlich aus Paris die offizielle Beförderung zum Kabinettchef ein, aber man schenkt ihr wenig Beachtung. Sein Nichtstun ist damit lediglich aktenkundig. Also genießt Charles-André weiterhin das bilderbuchhafte Leben eines überflüssigen hohen Kolonialbeamten, mit allen Privilegien, die damit verbunden sind: Er besitzt einen seinem Dienstgrad entsprechenden sehr exklusiven Plantagen-Wohnsitz, Gärtner, Köchin, Bedienstete für beinahe jedes Zimmer und sogar einen stilechten schwarzen Butler namens Rainoumarou. Charles-André verbringt die ganze Zeit damit, das madagassische Herrenhaus in ein Miniatur-Sonnenkönigsschlößchen zu verwandeln. Überall nur Brokat und Seide, Gobelins und kostbares Gerät.
Nach einem halben Jahr fühlt er sich selbst wie ein König!
Und wenn er seine Residenz verlassen will, dann läßt er seine filanzané vorlaufen. So nennt man in Madagaskar die damals noch übliche Sänfte.
An einem schönen, ruhigen Nachmittag klopft Rainoumarou schüchtern an die Tür des Boudoirs, in dem sich Charles-André um diese Zeit aufzuhalten pflegt: »Monsieur, Sie haben Besuch. Der Ex-Provinzgouverneur Rabezavané bittet um eine Audienz.«
»Wie bitte? Das kann sich nur um eine Verwechslung handeln! Dieser Raba... Rabeza... nun ja, der will sicherlich mit dem Ministerresidenten reden, doch nicht mit mir?«
Rainoumarou geht hinaus, kommt aber schon nach einer Minute zurück:
»Ex-Gouverneur Rabezavané besteht darauf, nur mit dem wohlwollenden Kabinettchef zu reden und ersucht höflich um gnädige Anhörung in einer höchst wichtigen und vertraulichen Angelegenheit!«
»Danke, danke... er soll sich gedulden... sogleich!« Charles-André ist ratlos. Er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, was irgend jemand mit ihm amtlich zu bereden hätte, und schon gar nicht in einer wichtigen Angelegenheit, wo doch jeder weiß, daß er nichts zu sagen hat — ganz egal, worum es sich handelt! Aber die Tatsache, daß ER um eine Audienz gebeten wird schmeichelt ihm. Also räuspert er sich einige Male, begibt sich in sein üppiges Büro und ruft:
»Ich lasse bitten!«
Rabezavané betritt den Raum in voller Montur. Er ist von Kopf bis zu den Füßen in weite bunte Gewänder gehüllt — ein Papagei würde neben ihm vor Neid erblassen! Anstatt den Kabinettchef nur höflich zu begrüßen, fällt er vor ihm auf die Knie und leckt seine beiden
Schuhe ab. Nein, er küßt sie nicht. Erleckt sie ab! Das ist hier so Sitte! — Charles-André bemüht sich, diese Prozedur in so würdiger Haltung wie nur möglich über sich ergehen zu lassen und bedankt sich insgeheim beim lieben Gott, daß er mit diesen Barbaren sonst kaum in Berührung kommt!
Endlich erhebt sich Rabezavané. Nun aber ergreift er mit seinen Pranken die zarten Hände des Kabinettchefs und sprudelt verzweifelt heraus:
»Bitte, gnädiger Herr, Sie müssen mir glauben! Ich bin kein Dieb! Ich bin doch Gouverneur, ich war es noch vor einer Woche und ich diente Frankreich mit Leib und Seele. Ich liebe alle Franzosen, sie sind alle meine Brüder, aber Frankreich hat mich verstoßen! Ich bin unschuldig! Sie, Herr Kabinettchef, Sie sind ein so gütiger Mann, so gerecht, so klug! Sprechen Sie mit dem Minister, helfen Sie mir. Helfen Sie Frankreich, seinen Fehler wieder gut zumachen. Frankreich kann nicht so ungerecht sein! Frankreich nicht!«
Was soll man dazu sagen? Zuerst einmal gar nichts. Charles-André verschlägt es die Sprache! Aber jetzt erinnert er sich vage an den Vorfall. Er hörte davon, wie ein Gouverneur in flagranti beim Stehlen ertappt und daraufhin sofort von der Französischen Kolonialverwaltung entlassen wurde. Rabezavané! Der ist mit allen Wassern gewaschen — ein Betrüger, ein Heuchler, ein Lügner...
Weitere Kostenlose Bücher