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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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aber ein teuflisch guter Schauspieler! Doch bei Charles-André hat er keine Chance:
    »Ich bedaure, die Verwaltung hat entschieden. Mit Recht, wie ich glaube. Ich habe persönlich kein Interesse, mich für dich einzusetzen.«
    Da strahlt der eben noch so verzweifelte Rabezavané übers ganze Gesicht:
    »Ich verstehe schon! Ja, ja, ich habe verstanden! Danke!«
    Und er wirbelt lachend hinaus.
    Stundenlang denkt Charles-André über den seltsamen Auftritt des Ex-Gouverneurs nach — aber er kommt zu keiner logischen Erklärung. Was sollte das ganze Theater? Erst am nächsten Tag, als er nach einem Besuch in der Stadt vor seinem Wohnsitz der filanzané entsteigt, löst sich das Rätsel. Sein Butler Rainoumarou — weiße Weste, schwarze Hose und barfüßig — erwartet ihn am Portal und ist völlig aus dem Häuschen vor Freude:
    »Sie ist sooo schön, Monsieur! Sie ist wunderschön!«
    »Dürfte ich erfahren, wovon du sprichst?«
    »Von Ihrer Kuh! Alle Dienstboten aus der Nachbarschaft sind schon hier gewesen und haben sie bewundert. Ich bin so stolz! Wir haben eine Kuh!«
    »Eine Kuh?? Aber... ich habe keine Kuh!«
    »Doch! Rabezavané hat sie heute hierher gebracht... Er hat sie Ihnen geschenkt!«
    Das hatte er also gemeint, dieser Schurke! Wenn der Kabinettchef kein persönliches Interesse hatte, mußte etwas dagegen unternommen werden! Bestechung! Das ist doch die Höhe!
    »Rainoumarou! Du bringst die Kuh sofort zurück! Ich will sie nicht!«
    »Rabezavané wird aber sehr beleidigt sind. Sie sind sein Freund!«
    »Rabezavané ist nicht mein Freund!«
    »Doch! Jetzt schon! Er hat Ihnen eine Kuh geschenkt...«
    Mit diesen Eingeborenen kann man nicht logisch argumentieren. Charles-André verliert allmählich die Nerven:
    »Bring die Kuh sofort hierher!«
    »Hier? Auf die Straße?«
    »Wohin sonst?«
    »Das wird nicht leicht sein. Sie wollte schon vorhin nicht hinauf!«
    »Hinauf? Sie ist die Stufen hinaufgegangen? Heißt es, daß sie jetzt im...«
    »Ja, sie ist im Salon. Das Geschenk eines Freundes muß immer im Haus bleiben. Das ist hier so Sitte. Und im Salon, da gibt es wenig Möbel, sie hat mehr Platz!«
    »Das kann doch nur ein böser Traum sein!« Charles-André läuft zum Haus, flieht die Stufen hinauf bis zur Veranda und reißt die Tür auf: Da steht sie! Tatsächlich! Ein Prachtexemplar von einer Kuh, mit golden angemalten Hörnern!
    Sie schaut kurz auf, gleichmütig, mit treuherzigem Blick und wendet sich dann wieder ihrer ersten Mahlzeit im neuen Heim zu. Offensichtlich schmeckt ihr die Polsterung der beiden Sessel sehr gut. Das Wasser läuft ihr buchstäblich im Mund zusammen und trieft hinunter auf den kostbaren Perser-Teppich.
    Charles-André hat genug gesehen, er flüchtet aus dem Salon und ruft seine filanzané. Eine halbe Stunde später platzt er in das Vorzimmer des Ministerresidenten. Der erste Sekretär, ein Eingeborener namens Andriavoune, kommt ihm mit ausgestreckten Armen entgegen und fragt aufgeregt:
    »Ist sie wirklich so schön, wie alle behaupten?«
    »Die ganze Kolonie weiß wohl Bescheid! Es ist zum Verrücktwerden! Ja, ich habe eine wunderschöne Kuh — und sie grast gerade in meinem Salon!«
    »Da wird sich aber Rabezavané sehr freuen! Eine Kuh, ja, das ist das große Geschenk, das man einem Freund machen kann! Es ist bei uns so Sitte.«
    »So Sitte, ja, ja, hab’ ich schon mal gehört! Zum Teufel damit!«
    Und kleinlaut murmelt Charles-André weiter: »Andriavoune, stell dir vor, sie hat vergoldete Hörner!«
    »Das gehört sich so! Rabezavané weiß, was er seinem Freund schuldig ist. Es ist bei uns...«
    »Schluß jetzt, ich halte es nicht mehr aus!«
    Der Kabinettchef des Generalsekretariats der Hauptresidenz von Madagaskar steht am Rande der Verzweiflung. Er muß sofort mit einem vernünftigen, mit einem ganz normalen Menschen sprechen — mit einem Franzosen!
    Entschlossenen Schrittes stolziert er an Andriavoune vorbei und tritt ohne anzuklopfen in das Empfangszimmer seines direkten Vorgesetzten.
    Der Ministerresident hört sich die Geschichte an und sieht ziemlich finster drein:
    »Die Sache gefällt mir gar nicht, mein Lieber. Rabezavané versucht Sie zu bestechen, das ist ganz klar! Gut, daß Sie zu mir gekommen sind! Ich will Sie gerne decken, so weit es in meiner Macht steht. Aber wenn die Angelegenheit spätestens in einer Woche noch nicht geregelt ist, dann muß ich den Vorfall in Paris melden. Sonst werde ich am Ende auch der Korruption beschuldigt! Also, sehen Sie zu,

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