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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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daß diese Kuh un-ver-züg-lich verschwindet. Haben wir uns verstanden?«
     
    Ja, aber wie läßt man eine so berühmte Kuh verschwinden? Das ist leichter gesagt, als getan. Charles-André sucht den Ex-Gouverneur überall in Tannanarive — vergeblich. Immer bekommt er die gleiche Antwort:
    »Er ist schon längst wieder in seiner Provinz und wartet auf seine Rehabilitierung. Er sagte, es würde bestimmt nicht lange dauern, jetzt da Sie sein Freund sind.«
    »Ich bin nicht sein Freund! Wie oft soll ich das noch sagen!«
    »Die Kuh ist doch bei Ihnen zu Hause, oder? Sie haben also das Geschenk angenommen. Ob Sie es wollen oder nicht, nun, Sie sind sein Freund.«
    »Ich werde jetzt gleich diese dumme Kuh an ihren vergoldeten Hörnern packen und sie Rabezavané höchstpersönlich wieder bringen!«
    »Das können Sie nicht machen! Ich beschwöre Sie! Es wäre eine Kriegserklärung! Rabezavané wäre gezwungen, entweder sich selber umzubringen, oder Sie zu töten. Es ist bei uns so Sitte. Wollen Sie vielleicht wegen einer Kuh sterben?«
     
    Die Lage ist ernst. Aber wie verzweifelt sich Charles-André auch bemüht, die Kuh aus seinem Wohnsitz zu vertreiben — es hilft nichts. Alle Eingeborenen stehen auf ihrer Seite, sie vergöttern sie geradezu.
    In ganz Tannanarive und Umgebung spricht man auch nicht mehr von der Kuh, sie hat jetzt einen ehrbaren Namen. Sie heißt Madame Lombard — so wie die füllige Gattin eines wenig beliebten Beamten der Kolonialverwaltung. Eine Unverschämtheit. Es muß etwas geschehen, bevor der Skandal perfekt ist und bis Paris Furore macht.
     
    Endlich kommt Charles-André auf eine Lösung: Wie er hörte, beklagten sich die Muschkoten in der Kaserne ständig über die Eintönigkeit ihres Essens. Er schenkt also Madame Lombard der französischen Infanterie. Sollte die madagassische Bevölkerung deswegen auf die Barrikaden gehen, wird sich die Kolonialarmee schon zu wehren wissen.
    Bewaffnet, als gälte es, einen Volksaufstand niederzuschlagen, holen dreißig Soldaten Madame Lombard in ihrer Residenz ab. Mitten in der Nacht — sicher ist sicher!
    Am nächsten Morgen springt Charles-André, glücklich wie schon lange nicht mehr, aus dem Bett. Aber schon beim Frühstück stehen alle Domestiken so konsterniert herum, daß er sich lieber gleich in sein Büro verkriecht. Gegen Mittag erscheint sein Butler Rainoumarou in seinem Arbeitszimmer und reicht ihm ein offizielles Kuvert auf einem silbernen Tablett. Wortlos.
    Charles-André ahnt nichts Gutes. Und es ist tatsächlich keine erfreuliche Nachricht: Die Armee darf die geschenkte Kuh leider nicht behalten. Die Intendantur verlangt entweder eine Rechnung, oder eine amtliche Schenkungsurkunde, vom Eigentümer selbst unterschrieben!
    Ein Teufelskreis! So oder so sind Charles-André die Hände gebunden. Schickt er eine Rechnung, dann kassiert er auch Geld, also Bestechungsgeld — unterschreibt er die Schenkungsurkunde, gilt er ab sofort als Eigentümer der Kuh — und Rabezavané hat gewonnen!
    Spät nachmittags bezieht Madame Lombard wieder ihren Salon!
    Charles-André ist am Boden zerstört. Sein Butler bekommt allmählich Mitleid mit ihm und macht den Vorschlag:
    »Versuchen Sie es im Krankenhaus! Dort ist man bestimmt nicht so pingelig mit Urkunden und so...«
    Das war eine gute Idee — der Küchenchef verlangt weder eine Rechnung noch eine Schenkungsurkunde. Dafür braucht er aber unbedingt ein tiermedizinisches Gutachten: Herkunft, Krankheiten, Impfungen usw. Viele Provinzen der Insel sind von gefährlichen Epidemien heimgesucht, und die Kuh könnte irgendwie infiziert sein. Aus welcher Gegend stammt sie eigentlich?
    Der Kabinettchef lächelt nur noch müde. Das Lied kennt er schon!
    Es hat alles keinen Sinn.
    Und doch rafft sich Charles-André noch einmal auf und wagt einen letzten Versuch. Wie ein Feigling schleicht er sich nachts mit seiner Kuh aus dem Haus und bringt sie bis zum Wald am Rande der Stadt.
    »Los, Madame Lombard! Gute Reise! Und kommen Sie ja nicht auf die Idee, sich jemals wieder bei mir blicken zu lassen!«
     
    Sie tat es nicht.
    Ein paar Tage später allerdings steht Rabezavané siegesbewußt vor Charles-André und fordert ihn auf, sich nun doch endlich für seine erneute Nominierung zum Provinzgouverneur einzusetzen.
    »Niemals, hörst du! Niemals! Deine Kuh, die habe ich schon lange nicht mehr!«
    »Ich weiß. Es ist ein sehr kluges Tier. Sie hat den Weg bis zu unserem Dorf ganz alleine gefunden.«
    »Um so besser!

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