Depesche aus dem Jenseits
Siehst du, ich habe kein Geschenk von dir im Haus, ich habe nichts von dir bekommen und du bist auch nicht mein Freund! Ich bin dir nichts schuldig! Was sagst du nun?«
»Nun... das sehe ich anders, verehrter Herr Kabinettchef. Ach übrigens, was ich noch fragen wollte... Sie haben die Kuh doch hoffentlich jeden Tag melken lassen, oder?«
»Aber selbstverständlich! Ihre Milch schmeckte vorzüglich! Ich habe jeden Morgen zum Frühstück...«
Zu spät. Charles-André ist in die Falle gegangen und Rabezavané triumphiert mit aasigem Grinsen:
»Ich freue mich, daß die Milch von meiner Kuh Ihnen geschmeckt hat, jeden Tag, vier Wochen lang! Jetzt sind wir Freunde. Es ist hier so Sitte...«
Ein ganz normaler Tag
Heute abend ist Patrick mit ein paar Kumpel in einem Café auf den Champs-Elysees verabredet. Sie wollen sich alle gegen 18 Uhr treffen und dann irgend etwas zusammen unternehmen — Kino, Bistro. Disco, das übliche halt! Die Nächte in Paris sind nicht heißer als anderswo, sie sind nur teurer. Und da liegt der Hase im Pfeffer, denn Patrick ist völlig pleite und er mag nicht schon wieder seine Freunde anpumpen. Seitdem er arbeitslos ist, zieht er sich immer mehr von der Clique zurück — er kann finanziell nicht mehr mithalten und außerdem schämt er sich irgendwie, obwohl es in diesen weltweit schwierigen Zeiten weiß Gott keine Schande ist, stempeln gehen zu müssen. Fast drei Millionen Arbeitslose im Lande! Aber nicht jeder ist ein Versager oder Faulenzer, der die Meinung vertritt, der Staat sei an allem schuld und solle deshalb auch schön blechen!
Patrick ist jung und ehrgeizig — langsam macht es ihm wirklich zu schaffen, tagein, tagaus die Zeit totzuschlagen, so wie heute wieder.
Obwohl er erst spät nachmittags verabredet ist, hat er sich schon vor Stunden auf den Weg gemacht — zu Fuß quer durch Paris, wie ein Tourist! Tausend Gedanken sind ihm bei diesem »langen Marsch« durch den Kopf gegangen und er fühlt sich niedergeschlagen wie schon lange nicht mehr, als er endlich auf der Place de la Concorde steht — vor der prächtigsten Avenue der Welt, diesem fünf Kilometer langen, höhnischen Symbol von Reichtum, Macht und Erfolg. Oben am Horizont ragt der Triumphbogen in den Pariser Abendhimmel hinauf. Ein herrlicher Anblick, aber Patrick gibt er heute den letzten Rest: Er ist ein Niemand, er will niemanden sehen und schon gar nicht mit seinen Freunden ausgehen! So schlendert er die Avenue hinauf und taucht in die Tausende und Abertausende von Büroangestellten ein, die um diese Zeit auf den Champs Elysees herumwimmeln — alle geschäftig, gleichgültig und vor allem in Eile! Nur er, Patrick, hat anscheinend genug Zeit — er hat kein Ziel, das es schnell zu erreichen gilt.
Er schlägt den Kragen seines altgedienten Trenchcoats hoch, steckt die Fäuste tief in die Taschen und schiebt sich mühsam gegen den Strom der Feierabendmenschen, den Blick auf die Füße geheftet. Hie und da bleibt er stehen, schaut sich ratlos um wie ein herrenloser Hund und geht dann weiter, immer geradeaus, bis zum Arc de Triomphe. Tja, so kann man auch die Zeit herumbringen. Die Avenue immer auf und ab. Aber Patrick ist jetzt müde und er hat Hunger. Als er an einem Fast-Food-Lokal vorbeikommt, überlegt er nicht lange. Das ist genau das richtige für ihn. Da kann man solange drin sitzen bleiben, wie man Lust hat und für ein paar Francs zur Not satt werden. Außerdem — dort trifft er bestimmt keinen Bekannten. Seine Freunde frequentieren eher die Terrasse vom Fouquet’s schräg gegenüber.
Mit zwei doppelstöckigen Cheeseburgers und einer Dose Cola auf dem roten Plastiktablett bahnt er sich einen Weg durch das Gewühl und ergattert nach einigen Runden durch das grell beleuchtete Lokal endlich eine Sitzgelegenheit — eng und ungemütlich, aber immerhin — es ist ein Platz am Fenster mit Blick auf die Champs-Elysees. Direkt vor ihm hängt ein Bildschirm von der Decke herunter und bringt in nahtloser Reihenfolge die neuesten Video-Clips der Top Ten. Um ihn herum ausschließlich junge Leute, laut und fröhlich, die meisten wahrscheinlich genauso abgebrannt wie er, aber was soll’s! Abwarten und Cola trinken. Diese lockere Atmosphäre bekommt ihm gut, ja er fühlt sich allmählich sogar richtig wohl. Draußen laufen die Menschen mit grimmigen Mienen vorüber, Patrick empfindet beinahe Mitleid mit diesen ständig Gehetzten. Paris wie es leibt und lebt!
Auf einmal stutzt Patrick. In der
Weitere Kostenlose Bücher