Depesche aus dem Jenseits
Plätze in der Maschine nach New York frei sind, Granny zahlt bar, Michell kritzelt schnell eine Postkarte für seinen Vater voll und schon geht die Reise weiter: Take-off nach New York...
Verrückt! E,ine verrückte Reise, die genau 58 Tage dauerte... Vom 8. Juli bis zum 3. September 1971. Großmutter Betty, in der festen Überzeugung, daß ihre Therapie alle Heilmethoden der Psychiater auf der ganzen Welt in die Tasche steckt, wird für ihren Enkel zur »fliegenden Oma«. 58 Tage lang — die Nächte selbstverständlich inbegriffen — fliegen sie pausenlos über den Atlantik zwischen New York und Amsterdam hin und her. Immer die gleiche Route. Das Ziel der Reise ist ja nicht das Wesentliche für die beiden — sie wollen nur eines: Fliegen! Die Erde mit all ihren kleinen und großen Problemen vergessen, ihr buchstäblich entfliehen.
Nach einer Woche Pendelreise über den Wolken gehen sie nicht einmal mehr durch den Zoll! Sie bleiben gleich in der Transithalle — mal in New York, im J. F. Kennedy Airport, mal in Amsterdam, im Schiphol-Terminal. Und an beiden Flughäfen sind sie nun so berühmt, daß sich das Bodenpersonal hüben wie drüben mit Hingabe um die sonderbaren Fluggäste kümmert. Die kurze Wartezeit bis zum nächsten Start dürfen sie selbstverständlich in der VIP-Lounge herumbringen, während die Fluggesellschaft Tickets, Postkarten und sonstiges eifrig besorgt. Großmutter zahlt bar. Ein einziges Mal verpassen sie die Maschine nach Amsterdam. Betty mußte schnell zu ihrer Bank und ihr Konto plündern.
Manchmal macht aber der Flugplan den beiden einen Strich durch die Rechnung. Dann müssen sie wohl oder übel für eine Nacht am Boden bleiben und sie im Hotel verbringen. Allerdings niemals in New York! Mister Howard, in der Zwischenzeit stolzer Besitzer einer grotesken Postkartensammlung, könnte womöglich auf die dumme Idee kommen, seinen fliegenden Sohn vom siebten Himmel herunterzuholen! Nein, wenn es sich wirklich nicht anders einrichten läßt, dann übernachten Betty und Michell in Amsterdam, im Hotel Fromer direkt am Flughafen. Und immer im Zimmer 103. Auch wenn sie nur ein paar Mal dort geschlafen haben — in diesem Zimmer fühlen sie sich zu Hause. Und am nächsten Morgen verschwinden sie mit der ersten Frühmaschine wieder nach New York...
Den drei Crews, die sich auf dieser Fluglinie regelmäßig abwechseln, kommt die Sache allmählich doch bedenklich vor! Wie lange soll das Spiel noch dauern? Was steckt nur dahinter? Sogar der Verdacht auf Schmuggel kommt langsam auf. Der Zoll filzt sie, findet natürlich nichts — und die beiden lachen sich halb kaputt!
Am Freitag, dem 3. September landen sie spät abends in Amsterdam. Michell bringt seine Großmutter ins Bett — in ihr Totenbett im Zimmer 103, Hotel Fromer.
Das alte, müde Herz schafft nicht noch einen Flug von Amsterdam nach New York. Zum letzten Flug ist Betty allein aufgebrochen.
Michell wacht die ganze Nacht bei ihr — erst am frühen Morgen verständigt er die Hoteldirektion und erledigt alle Formalitäten. Dann schickt er ein Telegramm an seinen Vater:
»Granny gestorben. Stop. Warte auf dich. Stop. Hotel Fromer. Amsterdam. Stop. Dein Sohn.«
Horden von Journalisten stürmen an diesem Tag die Hotelhalle. Jeder drängt Michell, die tolle Story mit seiner fliegenden Oma zu erzählen, die Geschichte dieser verrückten Flugreise an den meistbietenden exklusiv zu verkaufen. Aber der 14jährige Junge ist jetzt erwachsen und hält sich die Reporter vom Leibe. »Lassen Sie mich in Ruhe — bitte«, so spricht er jetzt. Ruhig, gefaßt.
»Wie geht es dir?« fragt ihn der Vater, »es ist ja Wahnsinn, ein Kind in deinem Alter! Was habt ihr euch beide nur dabei gedacht?«
»Mehr als du ahnst! Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, mir geht es gut. Und damit das ein für alle Mal klar ist zwischen uns — von Wahnsinn keine Spur! Ich fliege allein nach New York zurück. Das verstehst du doch, oder?«
Die Kuh des Beamten
In den dreißiger Jahren sprach man noch nicht von der »Dritten Welt« — auch nicht von Entwicklungsländern. Diese Gebiete nannte man schlicht und einfach: die Kolonien. Für die beiden großen Kolonialmächte unseres Jahrhunderts waren die Zeiten noch rosig — England und Frankreich fühlten sich noch auf fast allen Kontinenten zu Hause, besonders in Afrika — der Dependance des alten Europa sozusagen, denn Spanien, Portugal und auch Deutschland hatten bei der Verteilung der
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