Der 1. Mord - Roman
Verzweiflung. Ich habe Mörder in der Todeszelle gesehen, die immer noch leugnen. Das hier war anders. Als könnte er es einfach nicht glauben .«
Jill stand auf. Ihre eisblauen Augen schienen mich zu durchbohren. »Warum, Lindsay? Warum die plötzliche Kehrtwendung?«
Zum ersten Mal fühlte ich mich allein und getrennt von den Menschen, denen ich inzwischen am meisten vertraute. »Niemand kann diesen Mann mehr hassen als ich«, erklärte ich. »Ich habe ihn gejagt. Ich habe gesehen, was er den Frauen angetan hat.« Ich wandte mich an Claire. »Du hast gesagt, der Mörder sei Rechtshänder.«
» Wahrscheinlich Rechtshänder«, verbesserte sie mich.
»Und was ist, wenn er das Messer einfach in die andere Hand genommen hat?«, fragte Cindy.
»Cindy, wenn du jemand töten willst, der größer und stärker ist als du, würdest du dann mit dem Messer in der falschen Hand auf ihn losgehen?«
»Wahrscheinlich nicht«, mischte Jill sich ein. »Aber du darfst die Fakten nicht übersehen, Lindsay. Beweise und Gründe. Alles, was wir so mühsam zusammengetragen haben. Jetzt wirfst du mir einen Haufen Hypothesen vor. ›Jenks hält die Karaffe mit der linken Hand. Phillip Campbell schiebt am Schluss des Buches jemand anderem die Schuld in die Schuhe.‹ Schau, wir haben diesem Kerl drei Doppelmorde nachgewiesen. Ich muss mich auf dich verlassen können.« Ihr Kinn bebte. »Ich brauche dich als Zeugin.«
Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich verteidigen sollte. Ich hatte Jenks ebenso festnageln wollen wie alle anderen. Doch jetzt war ich unsicher geworden und konnte den plötzlich aufgetauchten Zweifel nicht einfach wegschieben.
Hatten wir den richtigen Mann?
»Wir haben die Waffe immer noch nicht gefunden«, sagte ich zu Jill.
»Wir brauchen keine Waffe, Lindsay. Wir haben sein Haar in einem der Opfer.«
Plötzlich wurde uns bewusst, dass Gäste an anderen Tischen zu uns herüberschauten. Jill setzte sich wieder. Claire legte mir den Arm um die Schultern. Ich ließ mich gegen das Rückenpolster der Nische sinken.
»Wir haben die ganze Zeit hinter dir gestanden«, sagte Cindy leise. »Wir lassen dich jetzt nicht hängen.«
Jill schüttelte den Kopf. »Wollt ihr, dass ich ihn laufen lasse, während wir den Fall noch mal aufrollen, Leute? Wenn wir ihn nicht vor Gericht stellen, tut Cleveland es.«
»Ich will doch gar nicht, dass er frei kommt«, stammelte ich. »Ich will mir nur hundertprozentig sicher sein.«
»Ich bin mir sicher«, verkündete Jill mit blitzenden Augen.
Hilfe suchend schaute ich Claire an. Sogar sie musterte mich skeptisch. »Es gibt eine Menge sachlicher Indizien, die den Fall ziemlich klar machen.«
»Wenn das rauskommt, könnt ihr meine Karriere mit der Katzenstreu rausschmeißen«, sagte Jill. »Bennett will das Blut des Kerls an der Wand des Gerichtsgebäudes kleben sehen.«
Benommen sahen wir uns an. Es war, als starrten wir auf die Scherben einer kaputten, unersetzlichen Vase.
»Okay«, sagte Claire. »Angenommen, er war’s nicht, wie gehen wir vor, um zu beweisen, wer es getan hat?«
Es war, als seien wir wieder ganz am Anfang - wieder beim ersten Verbrechen. Ich fühlte mich scheußlich.
»Was hat unseren Verdacht gegen Jenks bestätigt?«, fragte ich.
»Das Haar«, antwortete Claire.
»Nicht ganz. Wir mussten auf ihn kommen, ehe wir wussten, wem es gehörte.«
»Merrill Shortley«, sagte Jill. » Jenks und Merrill? Meint ihr?« Ich schüttelte den Kopf. »Wir haben noch eine Sache gebraucht, ehe wir ihn festnehmen konnten.«
» Immer eine Brautjungfer «, sagte Cindy. »Seine erste Frau.«
Ich nickte langsam.
104
In den nächsten Tagen gingen wir alles noch mal durch, was wir über Joanna Wade wussten.
Als Erstes las ich nochmals das Protokoll der Anzeige, die sie gegen Jenks gemacht hatte. Dann schaute ich mir die Fotos von Joanna an, die auf dem Revier aufgenommen worden waren. Blutergüsse, geschwollenes Gesicht. Ich las das Protokoll des Polizisten vom Tatort. Wutausbruch, Beschimpfungen. Jenks war total ausgerastet und hatte wild um sich geschlagen. Er hatte sich gegen die Verhaftung gewehrt und musste gewaltsam abgeführt werden.
Zwei Polizisten vom Nordrevier hatten das Protokoll unterschrieben: Samuel Delgado und Anthony Fazziola.
Am folgenden Tag stattete ich Greg Marks, Jenks’ ehemaligem Agenten, einen Besuch ab. Er war noch erstaunter über mein Erscheinen, als ich ihm sagte, dass ich wegen eines anderen Aspekts von Jenks’ Vergangenheit gekommen
Weitere Kostenlose Bücher