Der 1. Mord - Roman
geglaubt hatte, dass ich es nie wieder hegen könnte.
Hoffnung.
110
»Ich muss dir etwas sagen.« Ich hatte Chris sofort angerufen. Meine Stimme klang dringlich. »Können wir uns zum Lunch treffen?«
»Klar, gern. Wo?« Zweifellos dachte er, ich hätte etwas Wichtiges über den Fall herausgefunden.
»Casa Boxer«, sagte ich lächelnd.
»So dringend, ach was!« Chris lachte. »Offenbar habe ich einen schlechten Einfluss auf dich. Wann soll ich kommen?«
»Ich warte jetzt schon.«
Er brauchte nur fünfzehn Minuten, dann war er vor meiner Tür. Ich hatte auf dem Heimweg bei der Bäckerei angehalten und frische Zimtbrötchen gekauft. Dann öffnete ich eine Flasche Piper-Heidsieck, die ich für einen besonderen Anlass im Kühlschrank aufbewahrt hatte.
In sechs Jahren hatte ich niemals einen Fall mitten am Nachmittag vernachlässigt. Aber ich hatte kein schlechtes Gewissen, überhaupt nicht. Ich überlegte, was wohl die verrückteste Möglichkeit sei, ihm die gute Nachricht zu überbringen.
Ich hatte mich in ein Laken gewickelt, als ich Chris die Tür öffnete. Seine großen blauen Augen weiteten sich vor Überraschung.
»Ich muss den Ausweis verlangen.« Ich grinste.
»Hast du getrunken?«, fragte er.
»Nein, aber wir werden einen heben.« Ich zog ihn ins Schlafzimmer.
Beim Anblick des Champagners schüttelte er den Kopf. »Was willst du mir denn sagen?«
»Später.« Ich goss ihm ein Glas ein und machte mich daran, sein Hemd aufzuknöpfen. »Aber vertrau mir, es ist gut.«
»Hast du Geburtstag?«, fragte er lächelnd.
Ich ließ das Laken fallen. »Das würde ich nie nur für meinen Geburtstag tun.«
»Dann mein Geburtstag?«
»Keine Fragen. Ich sage dir alles später.«
»Du hast den Fall gelöst!«, rief er. »Es war tatsächlich Joanna. Du hast etwas gefunden, was den Fall geknackt hat.«
Ich legte ihm die Finger auf die Lippen. »Sag mir, dass du mich liebst.«
»Ich liebe dich.«
»Sag es mir noch mal, so wie in Heavenly. Sag mir, dass du mich nie verlassen wirst.«
Vielleicht dachte er, dass es die Anämie war, die aus mir sprach, irgendeine verrückte Hysterie, oder dass ich einfach Nähe brauchte. Er schloss mich in die Arme. »Ich werde dich nie verlassen, Lindsay. Ich bin hier.«
Ich zog ihm das Hemd aus - langsam, ganz langsam -, dann die Hosen. Er musste sich vorkommen wie ein Botenjunge, der plötzlich auf die Matte gezerrt wird. Er war hart wie ein Fels.
Ich hielt ihm das Glas mit dem Champagner an die Lippen, und wir tranken beide daraus.
»Okay, ich mach mit. Dürfte nicht allzu schwierig sein«, sagte er heiser.
Ich zog ihn aufs Bett, und für die Dauer der nächsten Stunde taten wir das, was ich am meisten auf der ganzen Welt vermisst hatte. Da war ich ganz sicher.
Wir waren noch mittendrin, als wir das erste erschreckende Rumpeln hörten.
Anfangs war es so seltsam, als das Bett sich schneller hob und senkte als wir. Dann kam aus allen Richtungen ein tiefes knirschendes Geräusch, als seien wir in einer Echokammer. Dann hörten wir Glas brechen - in meiner Küche, ein Bild fiel von der Wand. Da wusste ich - wir wussten Bescheid.
»Ein verfluchtes Erdbeben«, sagte ich.
Ich hatte schon viele erlebt - wie jeder, der hier lebte -, aber jedes Mal war es erschreckend und beängstigend. Man wusste ja nie, ob es nicht Das Große Beben war.
Es war nicht Das Große Beben. Das Zimmer wackelte, etwas Geschirr war zerbrochen. Draußen hörte ich Autos hupen und die ausgelösten Alarmanlagen. Das Ganze dauerte vielleicht zwanzig Sekunden - zwei, drei, vier vibrierende Stöße.
Ich lief zum Fenster. Die Stadt war immer noch da. Wir hörten ein dumpfes Rumpeln; es klang, als tauche ein gigantischer Buckelwal aus der Tiefe auf.
Dann trat Stille ein - unheimlich, als versuche die gesamte Stadt, das Gleichgewicht zu halten. Ich hörte noch mehr Sirenen heulen, dann schrien Menschen auf den Straßen.
»Meinst du, wir sollten runtergehen?«, fragte ich.
»Wahrscheinlich… wir sind Bullen.« Er nahm mich wieder in die Arme, und plötzliche kribbelte meine Haut wieder und wir verschmolzen. »Ach was, zum Teufel, wir sind beim Morddezernat.«
Wir küssten uns und wurden zu einer verschlungenen Form. Ich musste lachen. Die VIP-Loge beim Spiel der Giants. Jetzt ein Erdbeben. Diese Liste wird immer länger. Plötzlich meldete sich mein Piepser. Fluchend rollte ich hinüber und schaute darauf. Es war die Dienststelle.
»Code eins elf«, sagte ich zu Chris.
Notfall-Alarm.
»Scheiße«,
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