Der 1. Mord - Roman
murmelte ich. »Es ist doch nur ein Erdbeben.«
Ich setzte mich auf, zog die Decke über mich und griff zum Telefon neben dem Bett.
Roth hatte mich angepiepst. Roth piepste niemals jemanden an. Was war los? Ich hatte ihn gleich an der Strippe.
»Wo sind Sie?«, fragte er.
»Ich räume gerade ein bisschen Schutt beiseite«, sagte ich und lächelte Chris an.
»Kommen Sie her. Und zwar schnell«, schnauzte er mich an.
»Was ist los, Sam? Geht’s um das Erdbeben?«
»Nein, schlimmer. Nicholas Jenks ist ausgebrochen.«
111
Nicholas Jenks saß mit Handschellen an den Sitz gefesselt im Polizeibus auf dem Rückweg von Napa. Mit leidenschaftslosen Augen betrachtete er den Polizisten gegenüber. Er schmiedete einen Plan. Wie viel würde es ihn wohl kosten, die Freiheit zu kaufen?
Eine Million? Zwei Millionen? Was brachte dieser Idiot schon nach Hause? Vierzig Riesen im Jahr?
Seiner Berechnung nach war dieser Polizist mit den stählernen Augen über jede Anfechtung erhaben. Sein Sinn für Pflichterfüllung stand außer Frage. Hätte er die Szene in einem Roman beschrieben, hätte er genau so einen Beamten zu sich ins Auto gesetzt.
Na schön, fünf Millionen. Er grinste. Wenn er das beschreiben würde. Diese Idee war für ihn kalte, bestrafende Ironie. Er hatte es geschrieben.
Jenks bewegte sich etwas in seinen Fesseln. Handschellen, Oberkörper an den Sitz geschnallt. Noch vor wenigen Minuten hatte er in dem roten Ziegelgebäude des Gerichts in Santa Rosa gestanden, während die Staatsanwältin in ihrem kleinen Liz-Claiborne-Kostümchen mit dem Finger auf ihn gezeigt hatte. Immer wieder hatte sie ihn beschuldigt, Dinge getan zu haben, die sich nur ein so kultiviertes Hirn wie seins ausdenken konnte.
Er konnte nur kalt vor sich hin starren, während sie ihn bezichtigte, dieses Monster zu sein. Er hätte sie gern in die Bibliothek der juristischen Fakultät eingeschlossen und ihr gezeigt, wozu er wirklich fähig war.
Jenks erhaschte durch das schmale Fenster in der Hecktür einen Blick auf den Himmel und die durch die Sonne braun verbrannten Hügel. Er bemühte sich, festzustellen, wo sie sich befanden. Novato. Gleich kam Marin.
Er presste das Gesicht an die stählerne Wand. Er musste raus. Wenn er es schreiben würde, gäbe es einen Weg.
Er schaute zum Aufsichtsbeamten. Na, wie ging die Geschichte weiter? Joe Friday? Was kam als Nächstes?
»Sind Sie verheiratet?«, fragte er.
Anfangs blickte der Mann durch ihn hindurch, dann nickte er.
»Kinder?«
»Zwei.« Dann lächelte er sogar ein bisschen.
Ganz gleich, wie sehr sie sich dagegen wehren wollten, sie waren immer fasziniert davon, mit dem Monster zu sprechen. Der Typ, der die jungen Paare getötet hat. Davon konnten sie ihren Frauen und Freunden erzählen und die mickrigen sechshundert pro Woche rechtfertigen, die sie nach Hause brachten. Er war eine Berühmtheit.
»Ihre Frau arbeitet?«, bohrte Jenks nach.
Der Polizist nickte. »Lehrerin. Wirtschaftskunde. Achte Klasse.«
Wirtschaftskunde, ach ja. Vielleicht kapierte er einen geschäftlichen Vorschlag.
»Meine Frau hat früher auch gearbeitet«, sagte Jenks. »Meine erste Frau. Einzelhandel. Meine jetzige Frau hat auch gearbeitet. Beim Fernsehen. Jetzt betätigt sie sich natürlich nur noch sportlich.«
Diese Bemerkung löste ein kurzes Lachen aus. Der verklemmte Mistkerl entspannte sich langsam.
Jenks sah einen Punkt in der Landschaft, den er erkannte. Zwanzig Minuten bis zur Golden Gate Bridge. Viel Zeit blieb nicht mehr.
Er schaute durchs Fenster auf den Streifenwagen, der ihnen folgte. Ein anderer war vor ihnen. Bittere Resignation ergriff ihn. Es gab keinen Weg in die Freiheit. Keine elegante Flucht. Das passierte nur in seinen Büchern. Dies hier war das Leben. Er saß in der Falle.
Da machte der Kleinbus unvermittelt einen heftigen Schlenker, Jenks wurde vorwärts geschleudert, direkt auf den Polizisten
ihm gegenüber. Eine Sekunde lang fragte er sich, was geschehen sei, dann geriet der Wagen erneut außer Kontrolle. Er hörte ein dumpfes Rollen.
Ein Scheißerdbeben!
Jenks sah, wie der Streifenwagen vor ihnen zur Seite ausbrach, um einem entgegenkommenden Auto auszuweichen. Dann rutschte er von der Straße.
Ein Polizist schrie »Scheiße«, doch der Kleinbus, in dem Jenks saß, fuhr weiter.
In Panik versuchte Jenks sich an irgendetwas festzuhalten, als der Wagen sich aufbäumte und hin- und herschleuderte.
Der Streifenwagen, der ihnen folgte, machte einen Satz über eine plötzlich
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