Der 1. Mord - Roman
dachte, die Möglichkeit, dass der Mörder ein Gast bei der Hochzeit hätte sein können, wäre genau das, wovon wir ausgehen müssten«, fuhr ich ihn an.
»Ich meine doch nur, dass wir irgendeine Bestätigung haben sollten, ehe wir das Sexualleben des Trauzeugen auseinander nehmen, Lindsay.«
Ich nickte, schaute ihm dabei jedoch in die Augen. »In der Zwischenzeit, Chris , gehen wir sämtlichen anderen stichhaltigen Beweisen nach, die wir haben.«
Stumm und wütend standen wir da.
»Schon gut, also, warum hat der Mörder Ihrer Meinung nach mit dem Bräutigam die Jacketts getauscht?«, fragte ich ihn.
Raleigh lehnte sich gegen eine Mauer. »Ich vermute, er hat es getragen, als er ihn umgebracht hat. Es war mit Blut befleckt. Er musste aber unerkannt abhauen. Das Jackett des Bräutigams lag da, also hat er das genommen.«
»Sie glauben also, dass er sich all die Mühe mit den Stichen und all dem gemacht und geglaubt hat, dass niemand etwas merkt? Andere Größe, anderer Hersteller. Und das würde niemand bemerken? Raleigh, warum hat er es zurückgelassen? Warum hat er das blutige Jackett nicht einfach in eine Tasche gestopft? Oder unter sein neues Jackett?«
»Okay«, sagte Raleigh. »Ich weiß es nicht. Und was vermuten Sie?«
Ich hatte auch keine Ahnung, weshalb er das Jackett zurückgelassen hatte, aber langsam formte sich in meinem Kopf eine grässliche Vorstellung. »Möglichkeit eins: Er ist in Panik geraten«, antwortete ich. »Vielleicht hat das Telefon geklingelt, oder jemand hat an die Tür geklopft.«
»In der Hochzeitsnacht?«
»Langsam hören Sie sich an wie mein Ex -Partner.«
Ich ging weiter, doch er holte mich ein und hielt mir die Glastüren auf. Beim Hineingehen nahm er meinen Arm. »Und Möglichkeit zwei?«
Ich stand da, blickte ihm in die Augen und versuchte zu ergründen, wie weit ich mit ihm gehen könne. »Weshalb halten Sie sich eigentlich in dieser Hinsicht für einen Experten?«
Er lächelte und wirkte sehr selbstsicher. »Ich war mal verheiratet.«
Ich antwortete nicht. Möglichkeit zwei war, dass der Mörder seine Morde signierte. Er spielte mit uns und hinterließ absichtlich Anhaltspunkte. Einmal-Täter ließen keine Hinweise wie das Jackett zurück. Profis auch nicht.
Serienmörder hinterließen solche Spuren.
17
Von dem Fenster aus, durch das Philipp Campbell schaute, hatte man einen atemberaubenden Blick auf die Bucht, doch er beachtete die grandiose Aussicht nicht. Er war tief in Gedanken versunken.
Endlich hatte es angefangen. Alles spielt mit, dachte er. Die Stadt an der Bay wird nie wieder so sein wie früher, richtig? Ja, es wird nie wieder wie vorher sein. Es war kompliziert, nicht so,
wie es auf den ersten Blick zu sein schien, aber in seiner eigenen Art wunderschön.
Er hatte die Tür zum Arbeitszimmer geschlossen, wie immer, wenn er sich in die Forschung vertiefte. In letzter Zeit hatte er aufgehört, mit den anderen Mitarbeitern zum Lunch zu gehen. Sie langweilten ihn. Ihre Leben waren mit läppischen Sorgen gefüllt. Die Börse, die Spiele der Giants und der Forty-Niners. Wohin in den Urlaub. Sie hatten so seichte, schlicht gestrickte Mittelklassenträume. Seine eigenen besaßen Flügel. Er glich den Bonzen, die sich im Silicon Valley ihre Erfindungen ausdachten.
Wie auch immer, das war alles Vergangenheit. Jetzt hatte er ein Geheimnis. Das größte Geheimnis der Welt.
Er schob Geschäftsunterlagen auf eine Schreibtischecke. Das ist die alte Welt, dachte er. Mein altes Ich. Der Langweiler. Die Arbeitsbiene.
Er schloss die oberste Schreibtischschublade auf. Unter dem üblichen persönlichen Kram war eine kleine, graue, verschließbare Kassette, kaum groß genug, um ein Paket Spielkarten aufzubewahren.
Dies ist jetzt meine Welt.
Er dachte ans Hyatt zurück. Das wunderschöne Porzellangesicht der Braut, die Bluttropfen auf ihrer Brust. Er konnte immer noch nicht fassen, was sich dort ereignet hatte. Das kurze Knack , als das Messer durch die Knorpel drang. Ihr letzter Atemzug. Und natürlich seiner.
Wie hießen sie doch gleich wieder? Herrgott, er hatte es vergessen. Nein, doch nicht. Brandt. Sie waren ja ständig in den Zeitungen und in den Fernsehnachrichten.
Mit einem Schlüssel an seinem Schlüsselbund öffnete er die kleine Kassette. Was sich daraus ins Zimmer ergoss, war der berauschende Zauber seiner Träume.
Ein Stapel Karteikarten. Feinsäuberlich alphabetisch geordnet. Er blätterte sie durch, eine nach der anderen. Neue
Namen… De George
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