Der 1. Mord - Roman
auf.
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Seit sechs Jahren ging ich nun häufig mit Leichen um. Doch was ich jetzt sah, ließ mich vor Ekel schaudern.
Die grauenvoll zugerichteten Leichen der Braut und des Bräutigams lagen Seite an Seite. Sie waren auf ausziehbare Bahren gebettet, die Gesichter im entsetzlichen Moment ihres Todes erstarrt.
David und Melanie Brandt .
Ihr starrer, unheimlicher Gesichtsausdruck war der nachdrücklichste Beweis, den ich je gesehen hatte, dass das Leben nicht von Fairness oder Milde gelenkt wurde. Meine Augen hafteten auf Melanies Gesicht. Gestern hatte sie in ihrem Brautkleid irgendwie tragisch und still ausgesehen. Heute, gnadenlos nackt, wirkte ihre Leiche grotesk und entsetzlich. Alles, was ich gestern verdrängt hatte, kam an die Oberfläche.
Sechs Jahre bei der Mordkommission, und ich hatte mich noch nie abgewendet. Doch jetzt musste ich mich umdrehen.
Claire hielt mich am Arm fest. Ich stützte mich auf sie, doch dann stellte ich verblüfft fest, dass es Raleigh und nicht Claire war, bei dem ich Halt suchte. Mit einer Mischung aus Ärger und Scham richtete ich mich auf. »Danke, es geht schon«, sagte ich.
»Ich mache diese Arbeit jetzt seit acht Jahren, aber hier hätte ich mich auch am liebsten weggedreht«, meinte Claire leise.
Sie nahm einen Aktenordner von dem Tisch gegenüber von David Brandt und deutete auf die tiefe, klaffende Stichwunde auf seiner linken Brustseite. »Ein Stich ging direkt in die rechte Herzkammer. Hier kann man sehen, wie die Messerklinge die Verbindung zwischen der vierten Rippe und dem Brustbein durchtrennt hat. Dabei ist der AV-Knoten zerstört worden, der das Herz mit elektrischen Impulsen versorgt. Technisch gesehen war es ein Herzstillstand.«
»Er ist an einem Herzstillstand gestorben?«, fragte Raleigh.
Claire zog enge Gummihandschuhe über ihre Hände mit den rot lackierten Nägeln. »Elektromechanische Dissoziation. Eine blumige Umschreibung dessen, was passiert, wenn man ins Herz gestochen wird.«
»Was ist mit der Tatwaffe?«, wollte ich wissen.
»Im Augenblick weiß ich nur, dass es eine Standardklinge war. Keine auffälligen Abweichungen oder Eintrittsmuster. Ich kann nur sagen, dass der Mörder etwa mittelgroß war - irgendwo zwischen einssiebzig und einsfünfundsiebzig - und dem Einstichwinkel nach Rechtshänder. Hier kann man sehen,
wie der Einstichkanal nach rechts oben verläuft.« Sie stocherte in der Wunde herum. »Der Bräutigam war einsachtzig. Bei seiner Frau, die einsdreiundsechzig groß war, verläuft der Einstichkanal leicht nach unten.«
Ich untersuchte die Hände und Arme des Bräutigams nach Abschürfungen. »Irgendwelche Anzeichen für einen Kampf?«
»Nein, der arme Kerl hatte entsetzliche Angst.«
Ich nickte und betrachtete das Gesicht des Bräutigams.
Claire schüttelte den Kopf. »Das habe ich eigentlich nicht gemeint. Charlie Clappers Jungs haben aus den Schuhen des Bräutigams und vom Parkett, wo er gefunden wurde, Flüssigkeitsproben genommen.« Sie hielt ein Reagenzglas mit einer trüben Flüssigkeit hoch.
Verständnislos schauten Raleigh und ich sie an.
»Urin«, erklärte Claire. »Offenbar hat der arme Mann sich in die Hosen gemacht. Und zwar ganz schön.« Sie zog das weiße Tuch über David Brandts Gesicht und schüttelte den Kopf. »Ich schätze, das ist ein Geheimnis, das wir für uns behalten können.«
»Unglücklicherweise ist es bei der Braut nicht so schnell gegangen.« Sie führte uns zur Braut. »Vielleicht hat sie den Täter überrascht. An ihren Händen und Handgelenken sind Spuren, die auf einen Kampf hinweisen.« Sie seufzte. »Ich habe nach Hautfetzen unter ihren Nägeln gesucht, mal sehen, was die Untersuchungen ergeben. Die erste Wunde war im Oberbauch und reichte bis in die Lunge. Bei dem Blutverlust wäre sie über kurz oder lang daran gestorben.«
Sie zeigte auf eine zweite und dritte hässliche Stichwunde unter der linken Brust, fast an der gleichen Stelle wie bei dem Bräutigam. »Ihr Perikard war so voll Blut, dass man es wie einen Waschlappen hätte auswringen können.«
»Du wirst schon wieder so technisch«, warf ich ein.
»Der Herzbeutel. Wenn sich dort Blut sammelt, drückt er den Muskel ab, dann kann sich das Herz nicht mehr füllen. Letztendlich erdrückt es sich selbst.«
Das Bild, wie das Herz der Braut am eigenen Blut erstickte, jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. »Es ist fast so, als wollte er die Wunden duplizieren«, sagte ich und betrachtete die Einstiche.
»Das habe
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