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Der 1. Mord - Roman

Titel: Der 1. Mord - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Nur ein einziger Stoß. Der Bräutigam wird sterbend gegen die Tür gedrückt. Alles geht so schnell, dass er nicht schreien kann. »Der arme Mann hat sich in die Hosen gemacht«, hatte Claire gesagt.
    Wo ist die Braut? Vielleicht im Badezimmer. (Die Schachtel vom Juwelier.) Vielleicht legt sie gerade die Ohrringe an.
    Der Mörder durchsucht die Suite. Er hält die Braut auf, die überraschend auftaucht.
    Ich sehe Melanie Brandt vor mir: strahlend, überglücklich. Das sieht der Mörder auch. Kannte sie ihn? Hatte sie ihn soeben verlassen? Kannte Melanie ihren Mörder?
    Die Navajo haben ein Sprichwort: »Selbst der stille Wind hat eine Stimme.« Ich lauschte in dem stillen Hotelzimmer.
    Sag es mir, Melanie. Ich bin hier, bin für dich da. Ich höre dir zu.
    Mir läuft es eiskalt über den Rücken, während ich jede Einzelheit des Mordes heraufbeschwöre. Sie wehrt sich, versucht
wegzulaufen. (Die blauen Flecke und Abschürfungen an ihren Armen und am Hals.) Der Mörder ersticht sie am Fußende des Betts. Er ist entsetzt, aber auch freudig erregt über seine Tat. Sie stirbt nicht gleich. Er hat keine Wahl. Er muss wieder zustechen. Und dann noch mal.
    Dann trägt er sie aufs Bett. Trägt sie, schleift sie nicht. Keinerlei Blutspuren auf dem Boden. Das ist wichtig. Er geht behutsam mit ihr um. Deshalb glaube ich, dass er sie kennt.
    Vielleicht hat er Melanie einmal geliebt? Er faltet ihre Hände über dem Leib. Eine schlafende Prinzessin. Vielleicht tut er, als sei alles, was geschehen ist, nur ein schlechter Traum.
    Nirgends in diesen Räumen spüre ich die sterile Vorgehensweise von Profis oder gedungenen Mördern. Oder von jemandem, der schon einmal getötet hat.
    Ich lausche.
    In seinem Blut steigt wilde Wut auf. Ihm wird bewusst, dass er sie nie wiedersehen wird. Seine Prinzessin …
    Er ist so wütend. Er möchte nur einmal neben ihr liegen. Sie berühren. Doch das kann er nicht - es würde sie besudeln. Aber er muss sie haben! Er hebt ihr Kleid hoch, benutzt die Faust.
    Alles schreit auf mich ein, aber ich bin mir sicher, dass da etwas ist, was ich nicht sehe. Was übersehe ich? Was hat bisher jeder übersehen?
    Ich trete ans Bett. Ich rufe mir Melanie ins Gedächtnis. Ihre grässlichen Stichwunden. Aber ihr Gesicht ist ruhig, ohne Anklage. So verlässt er sie. Er nimmt die Ohrringe nicht mit. Er nimmt den großen Diamantring nicht mit.
    Dann traf es mich wie ein Zug, der aus einem dunklen Tunnel hervorschießt. Etwas fehlte. Was ich übersehen hatte. Großer Gott, Lindsay.
    Ringe!
    Ich rief mir noch einmal das Bild ins Gedächtnis, wie sie dalag. Ihre zarten, mit Blut beschmierten Hände. Der Diamantring war noch da, aber … Herrgott! War das möglich?

    Ich lief zur Tür und vergegenwärtigte mir den zusammengekrümmten Leichnam des Bräutigams.
    Sie hatten erst vor wenigen Stunden geheiratet. Gerade erst ihre Ehegelöbnisse abgelegt. Aber sie trugen keine goldenen Ringe.
    Eheringe.
    Der Mörder nimmt nicht die Ohrringe, begriff ich.
    Er nimmt die Eheringe.

20
    Am nächsten Morgen um neun Uhr saß ich in der Praxis von Dr. Victor Medved, einem netten, eher kleinen Mann mit einem schmalen, fein gemeißelten Gesicht und dem Hauch eines osteuropäischen Akzents. Er jagte mir grauenvolle Angst ein.
    »Aplastische Anämie ist tödlich«, erklärte er mir ungerührt. »Es raubt dem Körper die Fähigkeit, den Sauerstoff zu transportieren. Anfangs sind die Symptome Lustlosigkeit, eine Schwächung des Immunsystems und leichter Schwindel. Gegen Ende verspüren Sie vielleicht ähnliche Ausfälle wie bei einem Gehirnschlag, und Sie verlieren auch die geistigen Fähigkeiten.«
    Er stand auf und nahm mein Gesicht in seine sanften Hände. Durch dicke Brillengläser musterte er mich. »Sie sehen ziemlich blass aus«, sagte er und drückte mir die Daumen in die Wangen.
    »Ich brauche immer eine Zeit lang, bis morgens das Blut so richtig zirkuliert«, sagte ich mit einem Lächeln, um die Furcht in meinem Herzen zu verbergen.

    »Wenn es uns nicht gelingt, den Verlauf umzukehren, werden Sie wie ein Gespenst aussehen«, sagte Dr. Medved. »Ein hübsches Gespenst, aber trotzdem wie ein Gespenst.« Er ging zurück zu seinem Schreibtisch und nahm mein Krankenblatt in die Hand. »Wie ich sehe, sind Sie bei der Kriminalpolizei.«
    »Mordkommission«, sagte ich.
    »Dann können wir wohl ganz offen sprechen, ohne Illusionen. Ich will Sie nicht ängstigen - aplastische Anämie kann rückgängig gemacht werden. Bis zu dreißig Prozent

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