Der 1. Mord - Roman
auch noch die Pathologin aus San Francisco.
»Bleiben Sie ganz locker. Ich habe ihn schon übers Handy angerufen«, sagte Claire. »Er erwartet mich.« Sie sah die Mannschaft der Gerichtsmedizin bei den gelben Leichensäcken stehen. »Ich geh mal rüber und schau mir alles an.«
Hartwig bemühte sich, irgendwie die Ordnung zu wahren und folgte ihr auf den Fersen.
Raleigh kam zu mir. Er war blass und wirkte angespannt.
»Alles okay?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. Seine Augen hingen wie gebannt an dem Schuppen, wo die Leichen abgeladen worden waren.
Ich erinnerte mich, wie er mich in der Pathologie gestützt hatte. »Ist wohl eine Weile her, seit Sie einen wirklich schlimmen Fall gesehen haben?«
»Das ist es nicht«, erklärte er. »Ich möchte Ihnen nur sagen, dass es keinerlei Einmischung vom Rathaus oder irgendwelche Rücksichten geben wird, ganz gleich, wohin dieser Fall führt. Lindsay, ich will dieses Schwein haben.«
So weit war ich innerlich auch schon. Hier ging es nicht um irgendeine Renommier-Verhaftung, oder darum, Lieutenant zu werden, ja, nicht einmal darum, die Anämie zu bekämpfen.
Eine Zeit lang standen wir stumm Seite an Seite.
»Nicht dass einer von uns beiden so recht in der Position wäre, als letztes Bollwerk für die Ehe herzuhalten«, brach Raleigh endlich das Schweigen.
38
Phillip Campbell war seit dem Morgengrauen in der langen Luxuslimousine umhergefahren. Er war nervös und überdreht - und er genoss dieses Gefühl ungemein.
Stetig und zielbewusst legte er Meile um Meile zurück, über die Bay Bridge dann weiter nach Osten auf der 80. Bei Vallejo löste er sich endlich aus dem morgendlichen Verkehrsstrom und fuhr gewissenhaft mit genau sechzig Meilen auf dem Tacho weiter nach Osten.
Er wollte nicht angehalten werden.
Die Zeitungen nannten ihn ein Monster. Einen Psycho- und Soziopathen. Experten analysierten im Fernsehen seine Motive, seine Vergangenheit, seine möglichen zukünftigen Morde.
Sie alle haben keine Ahnung. Sie irren sich. Sie finden nur das, was ich sie finden lassen will. Sie sehen nur das, was ich sie sehen lasse.
Von der Grenze zu Nevada war es nur noch eine kurze Fahrt nach Reno, seiner Meinung nach eine vulgäre, altersschwache Cowboystadt. Er blieb auf dem Highway und vermied den Strip mit den Bruchbuden zu beiden Seiten, den Tankstellen, Waffenläden und Pfandhäusern. Hier konnte man alles bekommen, ohne dass viel Fragen gestellt wurden. Es war der richtige Platz, eine Waffe zu kaufen oder einen Wagen loszuwerden, oder beides.
Draußen beim Convention Center bog er auf den Hof von Lumpy’s ab. Er parkte den Wagen auf einem freien Platz, holte die zusammengefalteten Papiere aus dem Handschuhfach und atmete erleichtert durch.
Die Limousine war makellos sauber. Gestern hatte er sie den ganzen Tag lang gereinigt und poliert, die Blutflecken so lange geschrubbt, bis auch die letzte Spur eines Beweises verschwunden war. Es war, als hätten Michael und Becky DeGeorge nie existiert.
Minuten später hatte er die Wagenmiete bezahlt und ein Taxi zum Flughafen bestellt.
Im Flughafen checkte er ein und überflog an einem Kiosk die Zeitungen aus San Francisco. Nichts über Michael und Becky. Er ging zum Flugsteig und kaufte sich unterwegs in einem Schnellimbiss eine Flasche Aprikosensaft und einen vegetarischen Hamburger.
Er checkte am Flugsteig 31 für den Reno-Air-Flug nach San Francisco ein, setzte sich und aß.
Eine attraktive junge Frau saß neben ihm. Blond, knackiger Arsch, gerade flittchenmäßig genug, dass sie ihm auffiel. Um den Hals trug sie eine Goldkette mit Namensschild - Brandee - und am Finger einen Ring mit einem winzigen Diamanten.
Er lächelte ihr schnell und nachlässig zu.
Sie holte eine Plastikflasche mit Wasser aus ihrer Tasche, trank einen Schluck und kramte ein Taschenbuch hervor: Geisha . Am meisten faszinierte ihn, dass sie ein Buch über eine Frau in Knechtschaft las. Das waren viel versprechende Zeichen.
»Gutes Buch?« Er lächelte sie an.
»Wird jedenfalls behauptet«, antwortete sie. »Ich habe gerade erst angefangen.«
Er beugte sich etwas zu ihr hinüber und sog den billigen Zitrusduft ihres Parfüms ein.
»Kaum zu glauben, dass ein Mann das geschrieben hat«, fuhr er fort.
»Ich sag Ihnen meine Meinung später«, meinte sie. Sie blätterte ein paar Seiten um und fügte hinzu: »Mein Verlobter hat es mir geschenkt.«
Phillip Campbell spürte, wie sich die Härchen auf seinen Armen aufstellten.
Sein Herz
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