Der 1. Mord - Roman
seine Opfer? Wieso wusste er so viel über sie?
Raleigh und ich teilten uns die Ermittlungen. Er übernahm die Überprüfung sämtlicher Buchungen der Brandts und DeGeorges: Reisebüros, Mietlimousinen, Hotels. Ich nahm mir die Gäste beider Hochzeiten vor. Letztendlich mussten wir eine Verbindung zwischen den Verbrechen finden.
»Wenn wir nicht bald Fortschritte machen, haben bald jede Menge Priester und Rabbis in der Stadt scheißviel Freizeit«, sagte Raleigh verärgert. »Was will dieser Irre?«
Ich sagte nichts, glaubte es jedoch zu wissen. Er war auf Glück aus, auf Träume, auf Erwartungen. Er wollte das eine zerstören, das uns alle am Leben erhielt: Hoffnung.
42
An diesem Abend nahm Claire Washburn eine Tasse Tee mit ins Schlafzimmer. Leise machte sie die Tür zu und brach erneut in Tränen aus. »Verdammt noch mal, Lindsay«, stammelte sie. »Du hättest mir vertrauen können.«
Sie musste allein sein. Den ganzen Abend war sie übellaunig und unkonzentriert gewesen. Das sah ihr gar nicht ähnlich. Montags, wenn das Symphonieorchester nicht spielte, kochte
immer Edmund. Es war eines ihrer Rituale, ein Familienabend - Dad in der Küche, die Jungs machten hinterher sauber. Heute hatte er ihr Lieblingsessen zubereitet: Huhn mit Kapern und Essig. Aber alles war schief gegangen, und es war ihre Schuld.
Ein Gedanke hämmerte in ihr. Sie war Ärztin, eine Ärztin, die sich nur mit dem Tod befasste. Niemals hatte sie ein Leben gerettet. Sie war eine Ärztin, die nicht heilte.
Claire machte den Schrank auf, zog den Flanellschlafanzug an und ging ins Bad. Sorgfältig reinigte sie ihr weiches braunes Gesicht und betrachtete sich im Spiegel.
Sie war keine Schönheit, jedenfalls keine, die dem landläufigen gesellschaftlichen Ideal entsprach. Sie war füllig, weich und rund, ohne sichtbare Taille. Sogar ihre Hände - hervorragend geschulte Hände, die den ganzen Tag über mit komplizierten Instrumenten umgingen - waren rundlich.
Nur auf dem Tanzboden war sie leicht wie eine Feder. Das behauptete zumindest ihr Mann.
Doch in ihren Augen fühlte sie sich immer gesegnet und strahlend, weil sie es geschafft hatte, trotz ihrer Herkunft aus einem ziemlich üblen, vorwiegend schwarzen Wohnviertel San Franciscos heraus Ärztin zu werden. Weil man sie liebte. Weil man sie gelehrt hatte, Liebe zu geben. Weil sie alles hatte, was sie sich je im Leben gewünscht hatte.
Es war einfach nicht fair. Lindsay packte das Leben entschlossen an, und jetzt rann es langsam aus ihr heraus. Claire schaffte es nicht, diese gnadenlose Krankheit als Medizinerin mit professionellem Abstand zu betrachten.
Die Ärztin, die nicht heilen konnte.
Nachdem Edmund den Jungs beim Abwasch geholfen hatte, kam er herein und setzte sich neben Claire aufs Bett.
»Du bist krank, Kätzchen«, sagte er und massierte ihre Schultern. »Immer wenn du dich vor neun Uhr ins Bett verkriechst, bist du krank. Das weiß ich.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht krank, Edmund.«
»Was ist es dann? Dieser groteske Fall?«
Claire hob die Hand. »Es ist Lindsay. Gestern bin ich mit ihr von Napa zurückgefahren. Sie hat mir etwas Grässliches erzählt. Sie hat eine seltene Krankheit, eine Art Anämie. Man nennt sie aplastische Anämie.«
»Ist das schlimm?«
Claire nickte mit feuchten Augen. »Verdammt schlimm.«
»O mein Gott«, stammelte Edmund. »Arme Lindsay.« Er nahm Claires Hand. Einen Moment lang saßen sie in betroffenem Schweigen da.
»Ich bin Ärztin«, sagte Claire schließlich. »Ich sehe jeden Tag den Tod. Ich kenne die Ursachen und Symptome, die ganze medizinische Wissenschaft. Aber ich kann nicht heilen! «
»Du heilst uns ständig«, versicherte ihr Edmund leise. »Du heilst mich jeden Tag meines Lebens. Aber es gibt Zeiten, wo sogar deine Liebe und deine verblüffende Intelligenz die Dinge nicht ändern können.«
Sie schmiegte sich in seine starken Arme und lächelte. »Für einen Kerl, der auf die Trommeln haut, bist du ziemlich gescheit. Aber was zum Teufel können wir tun?«
»Nur das hier.« Er schlang die Arme um sie.
Er hielt Claire lange an sich gepresst. Sie wusste, dass er sie für die schönste Frau der Welt hielt. Das half.
43
Am folgenden Nachmittag erhaschte ich den ersten flüchtigen Blick auf das Gesicht des Mörders.
Chris Raleigh hatte sich mit den Leuten unterhalten, die für beide Paare die Reisen arrangiert hatten, während ich nachforschte, wer ihre Hochzeiten geplant hatte.
Es waren zwei verschiedene
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