Der 1. Mord - Roman
begann heftiger zu pochen. Mit zitterndem Finger strich er sich über den Rand seines Spitzbarts.
»Ach - wann ist denn der große Tag?«
39
Raleigh fuhr in unserem Wagen zurück in die Stadt. Ich blieb noch, um mit Claire zu fahren. Ich musste ihr sagen, was mit mir los war. Claire und ich waren seit Jahren Busenfreundinnen. Wir sprechen mindestens einmal pro Tag miteinander. Ich wusste genau, weshalb es mir so schwer fiel, ihr von meiner Krankheit zu erzählen - ich wollte ihr nicht wehtun. Oder Claire mit meinen Problemen belasten. Dazu hatte ich sie zu lieb.
Als ihr Dienstwagen über die Straße hinabholperte, fragte ich, ob ihr am Tatort irgendetwas aufgefallen sei.
»Ehe sie ermordet wurden, waren sie eindeutig sexuell aktiv«, antwortete sie entschieden. »Ich habe labiale Dehnungen um die Vagina festgestellt. Sekrete auf ihren Schenkeln. Ich vermute es zwar nur - ich hatte nur ein paar Minuten -, aber ich glaube, dass der Mann zuerst erschossen wurde, Lindsay. Die eine saubere Stirnwunde deutet daraufhin, dass er ohne Gegenwehr erledigt wurde. Rebeccas Wunden besagen etwas anderes. Sie wurde von hinten erschossen - zwischen die Schulterblätter, in den Nacken. Meiner Schätzung nach aus einer Entfernung von einem bis anderthalb Metern. Wenn das Sperma mit dem ihres Mannes identisch ist und sie beim Mord tatsächlich sexuell aktiv waren, scheint sie oben gewesen zu sein. Das bedeutet, dass jemand unbemerkt sehr nahe an sie herangekommen sein musste, während sie es getrieben haben. Und zwar von hinten. Du hast gesagt, sie hätten an dem Abend nicht ihren eigenen Wagen benutzt, aber sie wollten offensichtlich ausgehen. Ich stimme deiner Theorie zu, dass sie in irgendeinem Fahrzeug waren, als sich das alles abgespielt hat. Mit dem Mörder auf dem Vordersitz. Weshalb also nicht eine Limousine?«
»Das ist alles?« Ich schüttelte den Kopf und lächelte Claire an.
»Wie ich schon sagte, ich hatte nur ein paar Minuten Zeit.
Und es war ja deine Theorie. Wenn sie sich als richtig erweist, habe ich nur die Linien zwischen den Punkten gezogen.«
Wir fuhren ein Stück. Ich suchte immer noch nach den richtigen Worten.
»Wie ist dein neuer Partner?«, erkundigte sich Claire.
»Scheint ganz in Ordnung zu sein«, antwortete ich. »Bei Roth und Mercer hat er mir Rückendeckung gegeben.«
»Und du warst dir so sicher, dass er nur ein Wachhund aus dem Büro des Bürgermeisters ist.«
»Na schön, ich habe mich eben geirrt.«
»Nicht das erste Mal, dass du dich in einem Kerl geirrt hast«, meinte Claire.
Ich verzog in gespielter Empörung das Gesicht und ignorierte ihr spöttisches Lächeln.
»Wachhund oder nicht«, fuhr Claire fort. »Er sieht verdammt gut aus, auf alle Fälle besser als Jacobi.«
»Hat auch mehr auf dem Kasten. Als wir gestern nach Napa gefahren sind, habe ich das Radio in seinem Explorer eingeschaltet. Da war eine Kassette von Schiffsmeldungen drin.«
»Und sonst?« Claire schaute mich forschend an. »Hast du sonst noch was auf dem Herzen?«
»Du meinst, abgesehen davon, dass vier unschuldige Menschen ermordet wurden?«
»Ich meine mit Chris Raleigh, Lindsay! Er arbeitet für den Bürgermeister, sieht blendend aus, und dein privater Terminkalender sieht nicht gerade aus wie der von Gwyneth Paltrow. Du kannst mir doch nicht weismachen, dass er nicht dein Typ ist.«
»Wir arbeiten zusammen an diesem Fall, Claire.«
»Klar«, schnaubte sie. »Er ist nicht verheiratet, richtig?«
»Hör auf«, flehte ich sie an. »Ich bin noch nicht so weit.«
Als sie mir zublinzelte, dachte ich plötzlich über eine Beziehung mit Raleigh nach. Wenn ich mit ihm von Napa zurückgefahren wäre statt mit Cindy. Wenn ich ihn noch hereingebeten hätte - es war doch nur ein einsamer Sonntag gewesen, mit
irgendwas aus dem Kühlschrank. Wir hätten auf der Terrasse ein Bier trinken und zuschauen können, wie die Sonne in der Bucht dahinschmolz. In Gedanken sah ich ihn vor mir, wie er mich musterte. Sie sehen hübsch aus, Boxer . Es war ihm aufgefallen. Ehrlich gesagt, war mir bei ihm auch einiges aufgefallen. Etwa seine geduldigen, sensiblen Augen.
Während ich dasaß und mit der Möglichkeit spielte, mich zu verlieben, brach der Tagtraum jäh in sich zusammen. Das Leben rann langsam aus mir heraus.
Eine Beziehung mit Raleigh oder irgendjemand anderem war jetzt nicht möglich.
Ich streifte Claire mit einem Blick. Sie bog auf die 101 ein. Ich holte tief Luft.
»Hast du schon mal etwas von aplastischer Anämie
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