Der 13. Engel
gemacht.«
Amy starrte ihn finster an. Just in diesem Moment schwang einer der schweren eisernen Torflügel auf. Ihr Herz machte einen Sprung. Da kommt er, dachte sie mit einer Mischung aus Panik und Vorfreude.
Es war ein Schock. Sein rabenschwarzes Haar war zerzaust und stand in alle Richtungen ab. Und er hatte einen Bart, der ihn mindestens zehn Jahre älter aussehen ließ. Doch dann überwog die Wiedersehensfreude.
»Papa!«, rief Amy und lief los, um ihn zu begrüßen.
Sie schlossen sich in die Arme und weinten beide. Amy hätte ihn am liebsten nie wieder losgelassen. Irgendwann wurde es jedoch Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. »Ich hab dich lieb, Amy.« Ihr Vater küsste sie auf die Stirn und wischte ihr die restlichen Tränen mit den Daumen fort. »Jetzt wird alles wieder gut!«
Amy nickte. Ein dicker Kloß saß ihr im Hals, sodass sie kein Wort herausbekam und Finn sich selber vorstellen musste. Anschließend riefen sie eine Droschke herbei und ließen sich nach Hause bringen, wo Handwerker damit beschäftigt waren, die zerstörte Vordertür und die Terrassentür zu ersetzen.
Mit einem glücklichen Seufzer sah ihr Vater sich im Haus um. »Mir kommt es wie eine Ewigkeit vor«, murmelte er. »Dabei waren es bloß zwei Wochen.«
»Zwei endlose Wochen«, meinte Amy.
Er nickte. »So, und jetzt gehe ich mich waschen und rasieren. Ich muss ja entsetzlich stinken.«
»Da sagst du was.«
»Frech wie eh und je.« Kopfschüttelnd stieg ihr Vater die Treppe hinauf.
»Mach nicht zu lange«, rief Amy ihm nach. »Finn und ich fangen nämlich schon mal mit Kochen an.«
Als sie alle satt waren – ihr Vater hatte zweimal Nachschlag genommen –, begann Amy zu erzählen. Ihr Vater wollte haarklein wissen, was in den vergangenen Wochen geschehen war und wie aus seiner kleinen Tochter eine Heldin geworden war. Also berichtete Amy ihm, wie sie sein Notizbuch entdeckt hatte und herausfinden musste, dass Tante Hester mit den Verschwörern unter einer Decke steckte. Wie Finn sie aus dem Keller befreit hatte und sie anschließend geflohen waren. Und wie sie nach und nach dem Plan der Verräter auf die Spur gekommen waren und von dem Geist Aurelius erfahren hatten, dass die angeblich gestohlenen Statuen in Wirklichkeit die verfluchten Engel gewesen waren.
»So etwas Ähnliches hatte ich mir gedacht«, sagte ihr Vater und fuhr sich nachdenklich über das Kinn. Gleich darauf lächelte er anerkennend. »Sehr gut gemacht, ihr zwei. Trotzdem will ich doch hoffen, dass ihr euch zukünftig von allem Ärger fernhaltet.«
»Wenn der Ärger sich auch von uns fernhält«, erwiderte Amy schelmisch.
»Übrigens ist mir im Gefängnis zu Ohren gekommen, dass man noch gestern den Polizeichef verhaftet hat, weil er an der Verschwörung beteiligt war ebenso wie einige Minister und Hofbeamte, die allesamt enge Vertraute von Lord Winterhall sind.« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Wer hätte das gedacht? Und was ist überhaupt mit Hester?«
»Sie ist fort«, sagte Amy und ein Schatten legte sich über ihr Gesicht. »Nachdem sie Lord Winterhall angegriffen hatte, ist sie geflohen. Seitdem hat sie niemand mehr gesehen.«
»Inzwischen kann sie sonst wo sein«, fügte Finn hinzu. »Sie ist raffiniert und sie ist eine mächtige Zauberin. Darum glaube ich auch nicht, dass sie sie finden werden.« Er zuckte leicht die Achseln. »Ist vielleicht besser so. Sie hat Lord Winterhall getötet. Sie käme an den Galgen, wenn sie sie schnappen würden.«
Amys Vater sah ihn irritiert an. »Ich dachte, sie hätte ihn nur …«
»Seine Verletzungen waren zu schwer.« Amy sah ein wenig betreten in die Runde. »Sie hat es für mich getan.«
Ihr Vater strich ihr über den Kopf. »Niemand ist vollkommen gut oder böse. Denkt nur an Cornelius. Er hat sich schließlich gegen seine Schwestern und Brüder gestellt und euch die Worte verraten, die die Welt gerettet haben.«
»Einer von dreizehn, das ist nicht gerade viel«, meinte Finn.
»Aber ohne ihn hätten wir es nicht geschafft«, erwiderte Amy.
»Hm.« Ihr Vater zog plötzlich ein nachdenkliches Gesicht. »Das wäre eine gute Schlagzeile: Der dreizehnte Engel. Ich sage euch, die Zeitung wird mir diese Story förmlich aus den Händen reißen.« Er lächelte glücklich, was auch Amy zum Lächeln brachte. »Wer mag einen Pfefferminztee?«, wollte er wissen. »Ich brauche jetzt unbedingt einen.«
Amy und Finn bejahten, woraufhin Mr Tallquist aufsprang und die Teekanne aus dem Schrank holte. Amy
Weitere Kostenlose Bücher