Der 18 Schluessel
blitzte es misstrauisch auf. Noch immer gab sie den Weg nicht frei. „Ein Freund, ja?“
„Ja, ein Freund. Entschuldigen Sie, aber ich komme gerade von der Arbeit. Ist sonst noch etwas?“
Pikiert verschränkte die selbsternannte Moralwächterin ihre Arme vor der üppigen Brust. „Sagen Sie Ihrem Freund, er soll den Fernseher nicht so laut drehen und beim Laufen etwas leiser auftreten. Ich habe seit zwei Tagen keinen Mittagsschlaf mehr halten können! Wir sind ein anständiges Haus!“
„Ich werde es ihm ausrichten“, verabschiedete sich Eliana mit mühsam aufrechterhaltener Geduld und floh schnell die Treppe hinauf.
Als Eliana die Tür zu ihrer Wohnung im ersten Stock aufschloss, atmete sie auf. Der Zwischenfall mit Frau Mohr hatte sie die seltsame Schrift beinahe vergessen lassen, doch als sie Danyal und den Kater auf der Couch sitzen sah und in den Fernseher starren, waren die unbeantworteten Fragen sofort wieder da.
Danyal schenkte ihr ein Lächeln. „Guten Abend, Eliana. Wir haben auf dich gewartet.“
Das war eine sehr gute Überleitung, wie Eliana fand. Sie warf ihre Tasche in die Ecke und zog dann ohne Umstände den Zettel aus ihrer Rocktasche hervor. „Ich hätte da ein paar Fragen. Was ist das?“
Danyal zog die Brauen zusammen, als er das Blatt Papier in ihrer Hand sah und es erkannte. Wie schon gestern Abend verschloss er sich vor ihr. „Das ist nichts, Eliana.“ Er wich ihrem Blick aus und starrte aus dem Fenster.
„Ich weiß aber, was es ist – die Schrift der Engel.“ Eliana nahm allen ihren Mut zusammen. „Wer bist du wirklich? Du benimmst dich nicht wie ein ... Mensch.“ Jetzt war es heraus, und Eliana kam es vor, als würden die Worte wie Feuer in ihrem Hals brennen. War das wirklich sie gewesen, die das gesagt hatte? Einem Spinner wie Lukas kamen solche Worte wie selbstverständlich über die Lippen, aber sie war ein gesunder Mensch. Eliana beobachtete Danyals Reaktion auf ihre Worte genau. Sie hätte deutlicher nicht sein können. Er sprang auf, dass sogar Gabriel sich erschreckte, lief aufgebracht ein paar Schritte durch ihre Wohnung, und beruhigte sich wieder. Schließlich sah er ihr sie an und sein Gesichtsausdruck zeigte Bedauern. „Ich denke, es ist besser, wenn ich gehe.“ Dann ging er zu ihr und legte eine Hand auf ihre Wange. „Es war schön, dich zu kennen, Eliana.“
Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm. Eliana griff nach seiner Hand, um ihn am Gehen zu hindern. Er konnte nicht einfach die Flucht ergreifen, ohne ihr Antworten zu geben. Doch genau das tat Danyal. Ehe sie sich’s versah, war er schon zur Tür hinaus, ohne Gruß, ohne sich noch einmal umzusehen. Eliana konnte seine Schritte im Treppenhaus hören, kurz darauf die Haustür. Dann war es still. Nur Gabriel, der vor dem Fernseher saß, sah sie aus orange glühenden Augen an, die Eliana Vorwürfe zu machen schienen. „Was ist?“, fragte sie ihn, und kam sich dabei lächerlich vor. Jetzt rechtfertigte sie sich schon vor ihrem Kater. „Es ist besser so, Gabriel. Wir sind bisher gut alleine klargekommen, oder?“
Er starrte sie an! Das durfte doch alles nicht wahr sein! Hastig schnappte sie sich die eben erst abgelegte Jacke und schlüpfte hinein. „Weißt du ... es war irgendwie einfacher, als ich noch nicht glaubte, dass du irgendetwas von dem verstehst, was ich zu dir sage!“ Dann öffnete sie die Tür und rannte die Stufen des Treppenhauses hinunter, vorbei an der Haustür des Rottweilers – hinter Danyal her. Sie benahm sich vollkommen irre – aber das half nichts. Das erste Mal konnte sie nachempfinden, wie Lukas sich gefühlt haben musste. Schrecklich, wenn man wusste, dass man verrückt wurde, aber nichts dagegen tun konnte! Sie rannte weiter.
Es waren nur ein paar Schritte bis zur Domplatte, aber dort wäre es einfach für Danyal, im Gewimmel des Weihnachtsmarktes unterzutauchen. Eliana lief schneller. Auf der Domplatte wandte sie sich hektisch in alle Richtungen und hielt nach Danyal Ausschau. Zwischen den Menschen konnte sie ihn jedoch nirgendwo ausmachen. Eliana lief hin und her, suchte mit den Augen die Domplatte ab und rannte dann Richtung Bahnhof und zum Roncalliplatz. Einladend flutete die Beleuchtung den gesamten Weihnachtsmarkt in ein warmes Licht. Sie schob sich durch die Reihen, aber die Menschen drängten sich so eng, dass es kaum ein Durchkommen gab. Eliana gab auf. Es war unmöglich, Danyal hier zu finden. Sie hatte ihn aus den Augen verloren. Verloren! Unvermittelt
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