Der 18 Schluessel
mein geplündertes dafür im Matsch der Straße liegen, damit Satanael nicht misstrauisch wurde. „Lasst sie, nehmt mich ... es war meine Schuld“, versuchte ich sie zu überzeugen, doch man beachtete mich nicht, sondern zerrte mich einfach mit.
Sie trieben Hannah und mich durch die Straßen, stießen uns vor sich her, traten nach uns, wenn wir fielen – so lange, bis wir wieder aufstanden und weiter liefen. Immer mehr Leute schlossen sich dem Strafzug an, und bald erklang in den Straßen von Coellen ein lauter Ruf. Sie hat die Brunnen vergiftet! Sie ist schuld an der Pestilenz ... nun schicken wir sie zum Teufel ... zum Teufel ... zum Teufel! Zwischen ihnen ging Satanael und fiel in ihre Rufe mit ein.
Hannah war fast bewusstlos, ihr linkes Auge von Tritten zugeschwollen und rot verfärbt, ihre Haare vom Matsch der Straßen verklebt. Sie legten ihr das Halseisen um, und zwangen mich vor dem Schandpfahl auf die Knie. Dann bewarfen sie Hannah mit Schlamm, faulem Gemüse und sogar mit kleinen Steinen. Ich musste hilflos zusehen, denn mich ließen sie nicht zu ihr. Am Anfang schrie Hannah noch, dann wimmerte und schluchzte sie vor sich hin. Als ein Stein sie am Kopf traf, wurde sie ohnmächtig, aber durch einen Eimer Wasser aus der Viehtränke, den einer der Männer ihr ins Gesicht schleuderte, wieder geweckt.
So ging es die gesamte Nacht hindurch, und erst als der Morgen graute und Hannah kaum noch ansprechbar war, ließ ihr Zorn nach und sie wollten nach Hause gehen.
Satanael hatte andere Pläne. „Wo wollt ihr denn schon hin, ihr braven Bürger? Glaubt ihr, eure Kinder sind sicherer, nur weil ihr eine ihrer Hexen an den Schandpfahl gestellt habt?“ Er wies mit dem Finger über seine Schulter. „Dort hinten im Judenviertel hocken noch mehr von ihnen und ersinnen Pläne, uns mit Pestilenz und bösem Zauber zu belegen. Lasst uns nicht zaudern und dafür sorgen, dass unsere Kinder wieder ruhig schlafen können!“
Die Menschen, deren Zorn sich etwas gelegt hatte, sahen sich fragend an. Lautes Gemurmel machte sich breit, Für und Wider wurden abgewogen.
„Das können wir nicht tun ... die Juden stehen unter dem Schutz des Erzbischofs und des Königs. Wenn wir sie töten, werden wir diejenigen sein, die brennen, hängen und aufs Rad geflochten werden“, rief einer der Männer Satanael zu. Der ließ sich nicht beirren. „Der Erzbischof ist weit fort, ebenso der König. Was können sie tun? Wir sind viele! Andere Städte haben nicht gezögert. Soll denn unser Heiliges Coellen von ihnen verseucht werden?“
Zustimmende Rufe wurden laut, die Wut der Menschen kochte erneut hoch.
„Henker! Willst du uns vorangehen, wo du doch am besten weißt, wie man sie richtet?“
Ich hatte mich die ganze Nacht ruhig verhalten. Nun stand ich auf, reckte meinen Kopf und sah in meinen Gedanken Bilder unvorstellbaren Grauens. „Nein!“ rief ich. Sie stießen mich wieder zu Boden und bildeten eine Gasse für Helel, der scheinbar zufällig am Marktplatz erschienen war. Sie fürchteten ihn, niemand wollte vom Henker berührt werden, der als unrein und ehrlos galt. Über seiner Schulter trug Helel das Beil, mit dem er Verurteilten die Köpfe abschlug. „Ich zeige euch, wie man mit dem Judenpack umgeht“, rief er laut und hob die Axt über seinen Kopf.
Nun fühlten die Männer sich stark, schickten ihre Frauen nach Hause und schlossen sich Satanael bereitwillig an. Ich wurde auf die Beine gezogen, Hannah wurde das Halseisen abgenommen, dann stießen sie uns den Weg zurück, den wir am gestrigen Abend gekommen waren.
Verzweifelt hielt ich dabei Ausschau nach jenen, die in Coellen Recht sprachen; Adelige, Pfaffen, Menschen, auf die man hörte – doch niemand kam zur Hilfe. Viele waren tot, gestorben an der Pestilenz oder aufs Land geflohen, und wahrscheinlich dachten die übrigen, dass man den Leuten ihre Raserei lassen musste, um nicht selbst Ziel ihres Unmutes zu werden.
Helel ging voraus, ihm folgten Satanael und fast vierhundert aufgebrachte Männer mit Knüppeln, Dolchen, Spießen, Sensen und allem, womit man ein Leben auslöschen konnte. Ich hielt nach Hannah Ausschau – einer der Männer hatte sie sich über die Schulter geworfen. Sie war nicht bei Bewusstsein, und darüber war ich froh.
Sogar die Pestknechte machten Platz für uns, ihre Karren vollgeladen mit in blutige Tücher gehüllten Leichen, Mütter zogen ihre Kinder zurück in die Häuser, als unser Zug sich durch die Gassen, zurück zum Judenviertel,
Weitere Kostenlose Bücher