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Der 18 Schluessel

Der 18 Schluessel

Titel: Der 18 Schluessel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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waren auf einmal ebenso schweigsam wie ihre Weiber. Man hatte uns gemocht, uns zu bestrafen fiel ihnen schwer. Ich überlegte, ob ich versuchen sollte, ihnen die Wahrheit zu erklären. Doch sie hätten mir nicht geglaubt, und Hannah hätte die Wahrheit auch nicht geholfen. Egal, was ich auch sagte, ich konnte es mit meinen Worten noch schlimmer machen, also schwieg ich und wartete ab. Eine Strafe, das wussten sowohl Hannah als auch ich, würde es geben - die Traditionen und Gesetze verlangten es.
    „Dann sollten wir sie beide verstoßen und fortschicken und Ha-Schem die Entscheidung über ihr Schicksal überlassen.“
    Ich sah Grethe an, die mutig hervorgetreten war und sprach. In ihren Augen sah ich, dass sie das nicht aus Hass und Wut tat, sondern damit wir in einer anderen Stadt, in einer anderen Gemeinde, ein neues Leben anfangen konnten - zusammen. Hannah und ich sahen wieder auf unsere Füße und verhielten uns still.
    „Das ist doch keine Strafe!“, rief eine andere Frau, nun selbst mutig geworden, ungehalten. „Sie haben Unzucht getrieben!“
    „Aber Hannah war noch nicht mit Savelad verheiratet, und Daniel hat auch keine Frau“, warf wieder eine andere ein. „Zumindest das sollte zu ihren Gunsten bedacht werden.“
    „Ist es nicht Strafe genug, in diesen Zeiten in Coellen ohne den Schutz der Sippe zu sein?“, rief Grethe dazwischen, und so ging es eine ganze Weile, bis der Rat endlich darüber übereinkam, uns ohne großes Aufheben fortzuschicken.
    „Müssen wir nicht in diesem Fall die Stadträte hinzuziehen, über eine Ehrenstrafe zu entscheiden?“, wandte einer von ihnen ein, doch die anderen sprachen sich dagegen aus. Der Hass auf die Juden war ohnehin schon zu groß, als dass man gerne Aufmerksamkeit auf sich zog. Für Juden war es besser, so wenig wie möglich aufzufallen und Streit unter Ihresgleichen auszutragen.
    Hannah und ich durften ein paar Dinge von unserem Hab und Gut auswählen und jeder ein Bündel schnüren. In einem unbeobachteten Augenblick verbarg ich die Abschrift des Buches Raziel sowie den Papyrus in Hannahs Bündel. Weibertand wurde seltener gestohlen und erregte weniger Interesse bei Dieben als die Habseligkeiten von Männern. Ich hatte meine Arbeit nicht beenden können. Einige Seiten fehlten noch. Mein Haus überschrieb ich Esther, sodass sie eine gute Heirat anstreben konnte, dann wurden Hannah und ich zum Tor geführt.
    „Bleibt nachts nicht in den Straßen, sucht euch eine sichere Unterkunft“, flüsterte Grethe uns zu, und meine Magd weinte, als sie das Tor zur Gasse hinter uns verschlossen. Dann waren wir auf uns gestellt. Ich nahm Hannahs Hand. „Sieh niemandem in die Augen, wir wollen versuchen möglichst wenig Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen.“
    Sie nickte ängstlich, und dann gingen wir. Misstrauische Blicke verfolgten uns, und Hannah hielt sich dicht an meiner Seite, während ich sie mit mir zog, die Gassen entlang. Bald wäre es dunkel, und ich dachte an Grethes Worte. Ich wusste, dass wir zur Nachtzeit in den Straßen von Coellen nicht sicher wären.
    Hier und da lagen Kranke und Bettler im Schlamm an den Häuserwänden, die keinen Unterschied zwischen Juden und Christen machten. Sie streckten uns die Hände entgegen – doch das Wenige, was ich hatte mitnehmen können, brauchte ich für Hannah. Ich richtete meinen Blick auf den Dom, der seit zweihundert Jahren unfertig darauf wartete, dass man ihn endlich vollendete. Wenn wir den Domplatz erst hinter uns gelassen hätten, wären wir an der Stadtmauer. Während ich Hannah weiterzog, schnappten Hunde nach unseren Beinen und wühlten neben den Häusern in den Küchenabfällen. Neben uns lief ein Laternenträger auf der Suche nach Kundschaft. Die Nacht brach langsam aber sicher herein, und es wurde bereits dunkel. Ich musste ein Nachtlager für uns finden und überlegte fieberhaft, als sich uns jemand in den Weg stellte.
    „Wen haben wir denn da? Ein jüdisches Mägdelein!“ Satanael trug einen kostbaren Surcot aus Seide und war gekleidet wie ein junger Adeliger. Wie er lächelte, hätte man nichts Böses in ihm vermuten können. Ebenso harmlos klang seine Stimme, als er sich an die Umstehenden wandte. „Wisst ihr denn, ihr braven Bürger von Coellen, was das jüdische Mägdelein getan hat, dass ihre Sippe es verstoßen hat?“
    Er war schön, und einem schönen Menschen glaubt man gerne, was immer er sagt – Satanael war schon immer der Schönste von uns allen. Er wurde für seine Gestalt bewundert

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