Der 18 Schluessel
das ich noch nie empfunden hatte. Wie betäubt lief ich durch die von üblen Gerüchen und faulen Dämpfen brodelnden Gassen – erstmals sah ich die Menschen wirklich an, sah was sie waren und ekelte mich vor ihnen. Sie schienen es zu bemerken, denn ich wurde trotz meiner verdreckten Judenkleidung nicht von ihnen behelligt. Ohne zu wissen, was ich tat, ging ich geradewegs über den Domplatz zum Gotteshaus – damals besaß es noch nicht die Vollendung, die es heute hat, doch es war schon gewaltig und imposant. Wenn sich die Priester darüber wunderten, dass ein Jude den Dom betrat, so sagten sie doch nichts und hielten mich auch nicht auf. Ich hielt Hannahs Stoffbeutel mit dem Buch Raziel an mich gepresst und ging wie betäubt an den Reihen der Betbänke vorbei, geradewegs durch die südliche Vorhalle, den alten römischen Teil und hinaus in den Hof – das Atrium mit seinen Arkadengängen. Am Ende des Hofes gab es einen tiefen Brunnen. Ich ging hin und starrte hinunter in die gähnende Schwärze. Dann warf ich den Beutel mit dem frisch gebundenen Buch und den letzten Papyrusseiten in die Tiefe und wartete. Das Aufplatschen im Wasser blieb aus, stattdessen hörte ich nur einen dumpfen Aufschlag. Doch das war egal – ich fühlte mich auf einmal leicht und frei. Mein Kopf war wie leergefegt, meine Gedanken nicht mehr unter einem Joch, und ich dachte weder an Satanael oder Gabriel noch dachte ich an die Cherubim. Ich wandte mich ab und ging fort aus Coellen.
...
„Du erinnerst mich an Hannah ... ich will nicht, dass dir das Gleiche geschieht wie ihr.“
Eliana meinte, die kalte Erde auf ihrer eigenen Haut zu spüren und um jeden einzelnen Atemzug kämpfen zu müssen. Ihre Angst war auf dem besten Weg, sich in eine Panikattacke zu wandeln. „Du ... du hast das Buch einfach in den Brunnen geworfen?“
Danyal ließ sie los, als wäre ihm erst jetzt bewusst, dass er diesen Teil der Geschichte vielleicht besser verschwiegen hätte. Schließlich nickte er. „Ja, und ich bereue es sehr.“
Seine Worte zeigten zumindest in der Hinsicht Wirkung, als dass sich ihre Angst in einem Wutausbruch entlud. Sie stieß Danyal von sich, nahm das Wasserglas und warf es an die gegenüberliegende Wand. Ein sternförmiger nasser Fleck blieb auf der Tapete zurück. Auf jeden Fall war sie noch nicht so todessehnsüchtig wie Hannah, stellte sie erleichtert fest. Im Gegenteil – sie war wütend. „Du bist als Schutzengel eine Katastrophe!“
Ihre Worte hatten ihn gekränkt ... zumindest das, was menschlich an ihm war. Er starrte zum Fenster hinaus, an ihr vorbei. „Deshalb halte ich mich seit Jahrhunderten von euch fern!“
Sie schwiegen eine Weile – Danyal starrte aus dem Fenster, während Eliana die Wand mit dem langsam trocknenden Wasserfleck ansah. Als ihre Wut langsam verebbte, atmete sie durch. Panik brachte sie nicht weiter. Was konnte Danyal dafür, dass Satanael ... Satan! ihn überall hin verfolgte. Es musste eine Lösung geben – es musste! „Das Tor ... du sagtest, du hättest es geöffnet. Warum kannst du es nicht einfach wieder verschließen?“
Danyal war froh darüber, dass sie sich beruhigt hatte und wieder mit ihm sprach. „Gabriel hat die Schlüssel so erschaffen, dass man von eurer Seite aus die Portale öffnen und von unserer aus schließen kann.“ Eliana schüttelte verständnislos den Kopf. „Das sind wirklich saublöde Schlüssel! Wer erfindet denn so was, und wo liegt der Sinn in einer solchen Regelung?“
Danyal schwieg verdächtig, und Eliana hatte das unbestimmte Gefühl, dass das noch nicht alles war. „Ist da noch mehr, was ich wissen sollte?“
Er schüttelte schnell den Kopf. „Das ist alles.“
„Also kein Buch Raziel ... und somit keine Möglichkeit, Satanael oder Gabriel zu besänftigen.“
Er zuckte mit den Schultern. „Im Dom sah es anders aus, als ich es in Erinnerung habe. Den römischen Hof gibt es nicht mehr, und einen Brunnen habe ich auch nicht gesehen.“
Eliana schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht! Am Dom wurde seit damals noch Jahrhunderte lang gebaut. Aber vielleicht hat trotzdem jemand das Buch gefunden.“ Erstmals begann sie sich selbst zu fragen, was an diesem Buch so Besonderes war, dass alle dahinter her waren, und fragte Danyal danach. Er antwortete ausweichend. „Es enthält göttliches Wissen und wurde einst aus Mitleid für Adam in Gottes Auftrag von dem Engel Raziel niedergeschrieben, damit Adam und seine Nachkommen nach dem Sündenfall ins
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