Der 18 Schluessel
Zuhören beschränkte. Sie fühlte sich von Felice abgetastet und auf Herz und Nieren geprüft. Schließlich, nachdem der Abwasch erledigt war, nahm Felice eine Bibel im abgegriffenen Ledereinband aus einer Schublade, und versammelte alle um den großen Esstisch im Wohnraum. Felices Augen leuchteten, als sie die Bibel aufschlug. Etwas, das, wie Eliana erfahren hatte, zum täglichen Gemeinschaftsritual im Haus gehörte.
Felice sah jede von ihnen lange an. „Ich möchte euch heute aus der Offenbarung des Johannes, die Verse Eins bis Drei vorlesen und mit euch darüber sprechen.“ Als niemand einen Einwand erhob, begann Felice zu lesen. „Und ich sah einen Engel vom Himmel herabfahren, der hatte den Schlüssel zum Abgrund und eine große Kette in seiner Hand. Und er ergriff den Drachen, die alte Schlange, das ist der Teufel und der Satan und fesselte ihn für tausend Jahre und warf ihn in den Abgrund und verschloss ihn und setzte ein Siegel darauf, damit er die Völker nicht mehr verführen sollte bis vollendet würden die tausend Jahre. Danach muss er losgelassen werden eine kleine Zeit.“
Als Felice geendet hatte, überlegte Eliana angestrengt, wo sie diese Worte schon einmal gehört ... oder besser gelesen hatte. Sie kamen ihr bekannt vor, und mit Sicherheit nicht, weil sie eine eifrige Bibelleserin war. Dann fiel es ihr ein. Lukas! Der Brief! Er hatte ihr den Anfang dieser Textstelle auf den Zettel geschrieben. Textstellen aus der Apokalypse. Die Gedanken in ihrem Kopf wirbelten durcheinander, vermengten sich zu einem unverständlichen Brei ...
„Christine?“
Eliana zuckte zusammen und fühlte sich ertappt. Die Anderen sahen sie an. Hatte sie etwas verpasst? Ein unangenehmes Kribbeln breitete sich in ihrer Magengegend aus. Auf einmal schien die Atmosphäre zum Zerreißen gespannt zu sein und Eliana der Mittelpunkt eines biblischen Verhörs. Sogar die mehrarmigen Kerzenleuchter, die bisher ein gemütliches Ambiente erzeugt hatten, wirkten nicht mehr heimelig, sondern bedrohlich. Felice hingegen wirkte euphorisch. Wofür andere Menschen Drogen brauchten, genügten ihr scheinbar ein paar Textstellen aus der Bibel. Solche Menschen waren in der Regel besonders gefährlich und intolerant, wenn man eine andere Meinung vertrat als ihre.
„Möchtest du nicht vielleicht etwas zu der Textstelle aus der Offenbarung sagen?“
„Ja ...“, antwortete Eliana überrumpelt und versuchte Zeit zu gewinnen, indem sie sich räusperte. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. Was sollte sie sagen ... was wäre richtig, was wollte Felice von ihr hören? Es musste einen Grund geben, weshalb sie ausgerechnet diese Textstelle gewählt hatte. Es war kein Zufall! Im Raum war es still geworden, alle warteten auf ihre Antwort. Eliana rief sich das Gespräch zwischen Pater Pascal und Felice in Erinnerung. Dort war es um die Apokalypse gegangen. Elianas Handflächen wurden feucht. „Die Apokalypse ...“, begann sie, „ ... wird die Menschen ins Paradies führen. Der Teufel wird entfesselt ... aber aus dem Bösen entsteht letztendlich Gutes.“
Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkasten. Was redete sie da für einen Unsinn? Alle starrten sie an, als hätte sie gerade zum dritten Weltkrieg aufgerufen. Die Stille, die sich um sie herum ausbreitete, verhieß nichts Gutes.
„Das ist ja schrecklich“, konnte sich Mary schließlich nicht verkneifen zu sagen. „Aus Bösem soll Gutes entstehen! Wie soll das gehen?“ Sie schüttelte den Kopf, offensichtlich abgestoßen von Elianas radikalen Vorstellungen. „Wir müssen die Welt anders verändern ... in Frieden und ohne Gewalt. Sonst sind wir doch nicht besser als der Antichrist!“
Noch immer sagte Felice nichts. Eliana fühlte sich gezwungen, ihre Aussage zu verteidigen. „Es ist wünschenswert, dass Worte genügen, um eine bessere Welt zu erschaffen ... aber ich zweifle nun einmal, dass Gebete ausreichen.“
Mary erhob sich verstimmt. „Ich glaube, du musst noch sehr viel mehr Demut gegenüber unserem Herrn aufbringen, Christine. Es gab hier schon einmal eine, die vom rechten Weg abgekommen ist ... und jetzt ist sie ...“
„Mary! Es reicht!“ Endlich griff Felice ein. Mary schwieg und setzte sich wieder. Trotzdem bedachte sie Eliana mit Blicken glühender Verachtung. Soviel zur Nächstenliebe, dachte Eliana, die sich plötzlich von zehn Augenpaaren erdolcht fühlte.
Felice zeigte sich distanziert, blieb jedoch freundlich. „Eine sehr eigenwillige Interpretation der
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